fall sebnitz
: Biedenkopfs Mauer

Gestern hat Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in einer Regierungserklärung die Ereignisse um den Tod des sechsjährigen Joseph minutiös aufgezählt. Wohl um zur Sachlichkeit beizutragen, zerlegte er das, was in Sebnitz geschehen ist in Einzelteilchen: in Zeitpunkte, in Ermittlungsdaten, in Zeitungszitate. Und er erhob Vorwürfe: gegen den Kriminologen Pfeiffer, der nicht umsichtig genug gewesen sei. Und gegen die Medien, die vorschnell geurteilt hätten. Am Schluss mahnte Kurt Biedenkopf staatsmännisch, es dürfe keine „neue Mauer“ aus „Wut und Verachtung“ zwischen Ost- und Westdeutschen entstehen. Die Rede enthielt richtige, kluge Gedanken. Aber etwas fehlte.

Kommentarvon GEORG LÖWISCH

Wer eilte nach der Bild-Schlagzeile zum spektakulären Hubschraubereinsatz nach Sebnitz? Wer zündete – ergreifend, ergreifend – in Begleitung seiner Gattin in der dortigen Peter-Pauls-Kirche eine Kerze an? Der Ministerpräsident von Sachsen. Biedenkopf wählte seine Worte damals zwar vorsichtig, trug aber mit seiner Symbolik nach Kräften zu vorschnellen Urteilen bei.

Ein vergiftetes Klima entsteht nicht zwangsläufig. Weder wenn Westdeutsche aussprechen, dass es in Ostdeutschland rassistische Ressentiments gibt, noch wenn Ostdeutsche Differenzierung verlangen. Verachtung und Wut werden erzeugt, wenn ein Mindestmaß an Vertrauen verletzt wird. Dazu kommt es, wenn einer wie Biedenkopf zu Gegenvorwürfen anhebt, obwohl er selbst am Entstehen des vorschnellen Urteils beiteiligt war. Mit seiner Erklärung schafft Biedenkopf erneut Misstrauen, indem er sich selbst von der Kritik ausnimmt.

Ein Mindestmaß an Vertrauen kann nur erhalten, wer von eigenen Irrtümern und Fehlverhalten redet. Wer zugibt, dass er Teil des Medienrummels von Sebnitz war. Damit hat Biedenkopf nicht zum ersten Mal ein Problem. Erst Ende September passierte ihm ein Fehler, den er nicht eingestand. Er sagte: „In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, es ist auch noch niemand umgekommen“. Er vergaß: den Mosambikaner Jorge Gomondai, den Rechte 1991 ausgerechnet in Sachsens Landeshauptstadt Dresden aus einer Straßenbahn gestoßen hatten. Der Mann starb, der Fall fand bundesweit Beachtung – warum hat sich Biedenkopf nicht korrigiert? Unfehlbarkeit, erhobener Zeigefinger – der Professor aus Dresden trägt zu eben der Vergiftung der Debatte bei, die er beklagt. Falls tatsächlich eine neue Mauer entstünde, dann auch aus Steinen aus dem Hause Biedenkopf.

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