Die Karten werden neu gemischt

aus PARIS DOROTHEA HAHN

Das „Nizza-Abkommen“ hält zwar noch niemand in Händen, aber viele Franzosen sind längst überzeugt, dass es eine Verschlimmbesserung für die Verhältnisse in der EU darstellt. Nicht nur weil es die Abstimmungsprozeduren komplizierter macht und angekündigte EU-Reformen auf „später“ verschiebt, sondern auch weil „Deutschland als großer Sieger aus der französischen Ratspräsidentschaft hervorgeht“, wie es der gaullistische Rechtsaußen und Exinnenminister Charles Pasqua bitter formuliert.

So offen kann das in Paris nur ein Politiker sagen, der weder ins Lager der rot-rosa-grünen Regierung, noch in jenes der einst von Präsident Chirac gegründeten Partei RPR gehört. Denn beide Seiten haben die Verhandlungen von Nizza gemeinsam geführt und sehen sich verpflichtet, das Ergebnis gemeinsam als „Erfolg“ zu verkaufen. Zumindest müssen sie wie der sozialistische Europaminister Pierre Moscovici feststellen, dass „Nizza angesichts des Zustands der EU der bestmögliche Vertrag“ ist.

Dass Deutschland in Nizza auf der gesamten Linie gewonnen hat, ist für Franzosen offensichtlich, wenn sie die Gipfel-Ergebnisse betrachten: Deutschland soll 27 mehr Abgeordnete als alle anderen großen Ländergruppen im Europaparlament haben. Zusätzlich kann es dank der „dreifachen Mehrheit“ sein demografisches Schwergewicht de facto zu Vetozwecken einsetzen, wie es keinem anderen EU-Land möglich ist. Denn im Gegensatz zu allen anderen bräuchte Deutschland nur zwei weitere Partner, um die 38 Prozent der EU-Bevölkerung zusammenzukriegen, mit denen jede Mehrheitsentscheidung blockiert werden kann.

Hinzu kommt, daß Kanzler Schröder in Nizza eine neue Regierungskonferenz für 2004 durchsetzen konnte, die die deutschen Bundesländer verlangt haben. Und dass auch finanziell in Nizza die Karten zwischen Berlin und Paris neu gemischt worden sind. Denn Schröder, der es während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 1999 nicht schaffte, gegen den französischen Widerstand den Agraretat der EU zu reduzieren, hat dieses Ziel in Nizza durch die Hintertür erreicht. Aus einem nicht aufgestockten Agrarhaushalt muss fortan zusätzlich der gigantische Posten „BSE“ mitfinanziert werden.

Angesichts der zu befürchtenden Reaktionen der Öffentlichkeit, ganz besonders der Bauernlobby, darf es nicht verwundern, dass Paris versucht, die Stärkung der deutschen Position in der EU auf die Parlamentarierzahl zu reduzieren. Auch die Franzosen wissen, dass Europarlamentarier nicht die entscheidende Instanz in der EU sind. Die „dreifache Mehrheit“ nennt Moscovici „eher symbolisch“. De facto, so der Europaminister vor dem außenpolitischen Parlamentarierausschuss in Paris, werde sie kaum zum Einsatz kommen.

Selbst notorische EU-Freunde wie der rechtsliberale UDF-Politiker Bourlanges erklären jetzt: „Man darf Nizza nicht ratifizieren.“ Unter anderem, so begründet der französische Europarlamentarier in der Zeitung Le Monde, bekäme Deutschland mit der „dreifachen Mehrheit“ „unverhältnismäßige Vorteile gegenüber seinen großen Partnern“. Die Stärkung der deutschen EU-Gruppe gegenüber allen anderen nennt er „völlig unverständlich“.

Welche Rolle die Stimmen der Nizza-Skeptiker im Weiteren spielen werden, ist noch offen. Während rechte wie linke „Souveränisten“ bereits ein „Referendum“ über das Abkommen verlangen, kündigt die rot-rosa-grüne Regierung an, dass sie das Abkommen von Nizza vor allem schnell unter Dach und Fach bringen wolle. Am liebsten noch im nächsten Sommer. Im französischen Parlament jedoch sind die Freunde von Regierung und Staatspräsident in der Mehrheit.