Anarchie hat einen Namen

Prenzlauer Berg heißt jetzt „Pankow“. Was denken Autoren, die wilden aus dem Prenzlauer Berg und die etablierten aus Pankow, über die umkämpfte Entscheidung der Bezirksverordneten?

Provinzposse

Annett Gröschner: Man könnte es ja als Provinzposse abtun: Die Pankower Abgeordneten des Großbezirks kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch Pankow.

Eins ihrer Argumente ist, dass Pankow schon ein Dorf war, als die anderen beiden Bezirke noch beschauliche Felder waren. Nur leider ist Pankow bis heute ein Dorf geblieben, in das man, wenn man kein bekennender Ur-Pankower ist, gerne zieht, wenn man etwas älter und gesetzter geworden ist und seine Ruhe vor der Großstadt haben will.

Ein weiteres Argument der Pankower ist, dass die Erwähnung von Prenzlauer Berg im Verwaltungsbezirksnamen Investoren abschrecken würde, weil der Bezirk so chaotisch sei. Die Pankower haben eine Entwicklung verschlafen, die Prenzlauer Bergern wie mir manchmal sauer aufstößt: Prenzlauer Berg ist einer der wenigen Exportartikel, die Berlin zu bieten hat. Oder hat sich jemals ein Tourist, geschweige denn ein amerikanischer Präsident, nach Pankow verirrt? In der westlichen Welt wird Pankow, wenn sich überhaupt noch jemand an den Namen erinnert, immer noch mit zwei „f“ geschrieben.

Wir könnten uns jetzt beruhigt zurücklehnen und sagen: Lasst sie doch machen, die Pankower. Kein Besucher aus London sagt, dass er in den Bezirk W 1 geht, wenn er sich in Soho vergnügen will. Friedenauer und Britzer beharren seit 80 Jahren auf ihrem Namen. Haben Grass und Johnson in Schöneberg gewohnt?

Das Schlimme ist nur, wo Pankow draufsteht, soll auch Pankow drin sein.

Annett Gröschner (36) lebt in Prenzlauer Berg. Zuletzt veröffentlichte sie ihren Roman „Moskauer Eis“.

Große Auftritte

Brigitte Struzyk: Pankow für alle drei Bezirke! Karow und Blankenburg wieder heimgeholt! Der Sonderzug hat in Pankow gehalten, die „Machthaber aus Pankoff“ wurden reanimiert, und Bolle wird wohl zu Pfingsten wieder in der Schönholzer Heide in eine Keilerei verwickelt werden, und ihm wird es wie eh und je scheißegal sein, wer im Rathaus wo sitzt – nach wie vor wird er in der Fröbelstraße seine Stütze abholen, und gleichermaßen peinlich wird ihm sein, dass so gut Betuchte vom „Prenzberg“ sprechen, wo schon seine Familie im dritten Generationsglied immer an der gleichen Stelle in ständig wechselnden Hundekot getreten ist.

Alles in allem, der König ist tot, es lebe der König. Mir ist es recht mit Pankow, weil wieder einmal mit Phantomschmerzen große Auftritte möglich werden. Es bringt etwas Scheinleben in die Bude – oder fahren sie nach Reinickendorf, wenn Sie nach Tegel fahren?

Brigitte Struzyk (54) lebt in Pankow. Sie veröffentlichte zuletzt den Gedichtband „Der wildgewordene Tag“.

Völlig egal

Falko Hennig: „Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow?“, sang Udo Lindenberg, und bezeichnete darin Erich Honecker als „Honnie, ey!“ und „Oberindianer“. Wie das alles genau zusammenhing, damals in den frühen 80er Jahren, wusste niemand sicher, es wurde viel gemunkelt. Egon Krenz und seine Alkoholprobleme, seine gruseligen, fast schwarzen Augenränder, und immerhin erwähnte Lindenberg auch die Flasche Cognac, die er mit Honnie „schlürfen“ wollte. Lindenberg und Krenz tranken dann lieber zusammen Milch, Harry Belafonte sang im Palast der Republik, weil Lindenberg ihn in die DDR überredet hatte. Und als Belohnung durfte der Rocker dann selber singen, von Alexanderplatz bis Friedrichstraße war Ostberlin schwarz vor Menschen. Udo Lindenberg schenkte Honecker sogar noch eine alte Lederjacke, die dann in der Jungen Welt zur Versteigerung stand, für die Solidarität. Eine Rostocker Jugendbrigade erstand das Kleidungsstück, kaum vorzustellen, dass ein Kleidungsstück mit einer solchen staatshistorischen und kulturellen Bedeutung einfach verschwindet, die hat sicher noch ein Sammler. Dass Pankow mit Prenzlauer Berg – war nicht früher Wedding im Gespräch? – und Weißensee jetzt ein Bezirk wird, ist mir völlig egal. Das ist natürlich eines mündigen Staatsbürgers nicht würdig, da muss man ja dafür oder dagegen sein, da ist es ja nicht ausreichend, alle vier Jahre zu wählen. Ich schäme mich deshalb.

Falko Hennig lebt in Prenzlauer Berg. Er veröffentlichte zuletzt den Roman „Alles nur geklaut“.

Ein Selbstzitat

Klaus Schlesinger: Mir fällt zu diesem Thema nur ein Selbstzitat ein: „Das hat uns Eingeborenen nicht einmal die Diktatur zugemutet.“

Klaus Schlesinger (63) lebt in Prenzlauer Berg. Zuletzt erschien sein Roman „Trug“.

Ein schönes Wort

Volker Braun: Schönhausen: Das ist ein schönes Wort, es umgreift die Schönhauser Allee und Schloss Niederschönhausen und verärgert nicht die zurückgesetzten Provinzen. Aber diese berechnende Reform sollte gleich roh und großstädtisch verfahren und, da es um Zahlen geht, die Bezirke numerieren: beginnend mit der historischen Mitte die Abfolge der dazugewonnenen Gefilde. So blieben die lokalen Namen unangefochten und dem Volksmund zur Verfügung. Er nimmt doch nicht Konstruktionen wie Friedrichshain-Kreuzberg in die Zähne, höchstens in Charlottenburg-Wilmersdorf versteht man sich auf so ein Deutsch. Die Berliner lassen sich den Humbug nicht aufdrücken, und was für plumpe Beschlüsse will diese Legislatur noch überliefern!

Volker Braun (61) lebt in Pankow und bekam zuletzt den Büchnerpreis.

Eine Rockgruppe

Peter Wawerzinek: Meine Forderung an alle: Ich habe mich um Namensänderungen nie gekümmert. Für mich bleiben meine vier Kinder an ihren Titeln kleben, egal wohin sich Deutschland wendet. Es gibt keinen Markenartikel, unter dem sie zusammenzufassen sind, obwohl mir Sansibar ganz angenehm wäre. Der Prenzlauer Berg BLEIBT, auch wenn die FUNgeneration ihn zum Prenzl heruntergewürdigt hat. Die deutsche Literatur BLEIBT Achternbusch, auch wenn Tim wie irre staffelt und der Grünbein ver-durs-tet. UNDERDOGS neigen zur Übertreibung. Pankow BLEIBT für mich a) ne Rockgruppe und b) ein Bäckerladen, eine Tante Emma, ein dreistöckiger Altneubau mit einer bissigen Naziticke und einer fröhlich kubanische Zigarren paffenden Rentnerin, die sich um Waschmittelwerbepostsendungen BIS AUFS MESSER gestritten haben. Weiß wirklich nicht, was der seelenruhige und quietsch-taffe mit dem bangeängstlichen Stadtteil außer BERLIN als Bett gemein haben soll.

Peter Wawerzinek (46) lebt in Prenzlauer Berg und veröffentlichte zuletzt „Das Mehr an sich ist weniger“.

Gegen Pankow

Jan Faktor: Das Ding darf nicht Pankow (die Herren von Pankow!), darf nicht Schönhausen (Bismarck!!!) und darf auch nicht Weißtümpel oder Weißer Berg (Habsburger!, Dreißigjähriger Krieg!, Dezimierung des tschechischen Adels!) heißen. Deswegen muß es einfach PRENZLAUER BERG heißen. Bei eventuellen Überschwemmungen im Spree/Havel-Wasserkessel werden wir alle auf der gleichen Anhöhe hocken und die Leute aus Mitte oder Tiergarten auf unseren trockenen Teppichen schlafen lassen. Und Prenzlau ist hier für uns alle sowieso gleich um die Ecke. Und nicht zu vergessen: Für die Kneipensituation im Kern-Berg würde der neue Großname enorme Entlastung bringen, weil die Kneipenlandschaft sich dann ohne Bedenken ausbreiten könnte. In Pankow, wo ich wohne, ist abends nichts los. Es gibt ein einziges Café, wohin man gehen kann, und es ist sowieso nur ein (schlechterer) Ableger aus der Kastanienallee. Das würde sich dann schlagartig ändern. Und glückliche Westberliner und alle möglichen Touristen aus der ganzen Welt oder Schwabenland würden die so treffend benannten neue Gegend PRENZLAUER BERG, dann also auch meine Gegend bevölkern und bewundern. Auch Weißenseer würden sich darüber in ihren niedlichen Häusern sicher freuen. Und aus dem Kern-Berg wäre dann etwas Dampf raus und das Parken ab und zu wieder vorstellbar. Wichtig natürlich für die Kenner des eigentlichen „alten“ Kern-Bergs.

Jan Faktor lebt in Pankow und veröffentlichte zuletzt mit Annette Simon „Fremd im eigenen Land“.

Auf zur Anarchie

Wolfgang Engler: Letzte Woche taufte eine Mehrheit der Bezirksverordneten den neuen Großbezirk auf den Namen „Pankow“. Wie die namentliche Abstimmliste zeigt, fanden sich unter den Befürwortern dieses Antrags auch etliche Prenzlauer Berger, darunter die komplette CDU-Fraktion. Das ist von solch hintergründiger Komik, dass mein anfänglicher Ärger bald schallendem Gelächter wich.

Bisher tat man alles, um den längst schal gewordenen Mythos vom Prenzlauer Berg für Markt- und Prestigezwecke auszubeuten. Potenzielle Investoren und Reiseveranstalter wurden mit dem alten Flair geködert, Liebhaber charmanter Immobilien in ihrer Hoffnung bestärkt, die Gegen um den Kollwitzplatz binnen kurzem in ein zweites München-Schwabing zu verwandeln, ein BVV-Beschluss zur zeitlichen Begrenzung der Ausschankzeiten im Freien wurde als Akt des Provinzialismus und der „Deattraktivierung“ gegeißelt und umgehend gekippt, die Verwandlung des großstädtischen Quartiers in ein gemütliches Vorstadtensemble nach westdeutschem Kleinstadtmuster energisch in Angriff genommen.

Und nun? Deattraktivierung von oben! Verrat!

Was sollen die bedauernswerten Architekten, Anwälte und Hausbesitzer aus dem Westen künftig auf ihre Visitenkarten schreiben? Wie müssen sich Touristen fühlen, die kurz hinter dem Alexanderplatz durch ein zünftiges „Willkommen in Pankow“ an ihren Prospekten irrewerden?

Nicht auszudenken!

Ein dreifaches Hoch auf die neue BVV; sie treibt die neue Mitte in den Aufstand und gibt dem Prenzlauer Berg dadurch endlich zurück, was er so lange entbehrte – die Anarchie.

Wolfgang Engler (48) lebt in Prenzlauer Berg und veröffentlichte zuletzt „Die Ostdeutschen“.

Steine schmeißen

Bert Papenfuß: In Absprache mit meiner Gattin Silka und meinen Kollegen Karl Heinz Heymann und Uwe Schilling begrüße ich die Benennung des Großbezirkes Prenzlauer Berg/Weißensee/Pankow mit Pankow aus folgenden Gründen:

1. Flur- und Gewässernamen gehören zur ältesten Kulturschicht und verkörpern um ein paar Ecken eine etwas ehrlichere Geschichtssprechung. Der Gewässername Panke ist seit 1251 bezeugt und kommt aus dem altpolabischen „pak“, was Büschel oder Knospe bedeutet und darauf hinweist, dass dort auffällige Pflanzen rumstanden, wohl aus dem arabischen Raum. Schnapsideen wie Barnim und Pappenheim hatten ohnehin keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Außerdem ist Barnim woanders, und der Prenzlauer Berg erst recht, wenn da in der Gegend überhaupt Berge rumstehen, was ich von hier aus doch glatt leugnen würde. Endmoränen waren vielleicht mal Berge, aber das ist lange her.

2. Da es keinen nennenswerten Widerstand gegen die Fusion der Stadtbezirke gegeben hat, haben wir jetzt eben den Salat, der gut angemacht ist.

3. Das ostelbische Wort Pankow erspart uns die Strapazen, radebrechende Zuzügler und Neuankömmlinge, so genannte „Bahner“, die Unsäglichkeit „Prenzl Berg“ stammeln und ausschlachten zu hören und zu sehen.

4. Pankow gemahnt uns an die bonzische Tradition, die Hauptstädte nun mal haben. Pankow ist einfach die bessere Gegend für Leute, die wohnen wollen, wozu wir Normalkneiper gar keine Zeit haben. Pankow ist das Ziel.

5. Schlussendlich liegt Pankow dann gegenüber vom KAFFEE BURGER und wir können nach Pankow austreten gehen oder hin und wieder einen Stein rüberschmeißen, um uns Luft zu machen. Ein Vorschlag zur Güte von Karl Heinz Heymann, der seiner Zeit immer voraushinkt, wäre, Pankow künftig „Pankoff“ zu schreiben und zu sprechen, wie Adenauer schon richtig betonte. Schließlich sind wir Ostler mit Wodka gesäugt worden.

Bert Papenfuß (44) lebt in Prenzlauer Berg und ist Erich-Fried-Preisträger