Kamera an Bord

Ein Film auf hoher See: „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“ von Gordian Maugg

Schon seine erste Seefahrt hat dem 14-jährigen Hans großen Spaß gemacht. Weg vom kleinen norddeutschen Elsfleth und auf nach Chile, um dort Salpeter für Deutschland zu besorgen, wenn das nichts ist! Und was war die „Herbert“ doch für ein vornehmes Schiff mit braven Jungs und blitzblank gebohnerten Decks! Selbst der Erste Weltkrieg und der daraus folgende siebenjährige Aufenthalt in Iquique hauen ihn nicht um. Hans macht hier seine ersten Liebeserfahrungen, und er hat seine Kamera. Die ist eigentlich seine beste Freundin, sie leistet ihm die folgenden Jahre auf See Gesellschaft und gute Dienste, auch wenn er zugibt: „Ich war oft ganz woanders mit meinen Gedanken, das weiß keiner, der sich die Fotos heute anguckt.“

Immerhin waren die Fotos so exemplarisch, dass der junge deutsche Regisseur Gordian Maugg das Leben des Seefahrers Hans Warns nun in full effect nacherzählt. Maugg hat Warns Originalfotos mit alten Bild- und Tondokumenten sowie neuen Aufnahmen ergänzt und lässt sie aus dem Off kommentieren. Die nachgestellten Szenen hat er so bearbeitet, dass sie sich von den echten kaum unterscheiden lassen – ein Verfahren, das Maugg schon für seinen Film „Der olympische Sommer“ anwandte. Und genau wie dieser ist auch „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“ eine Lebensgeschichte, die eher privat und apolitisch ist und scheinbar nur am Rande von den Ereignissen von 1933 bis 1945 durchdrungen wird.

Als Kapitän macht Warns Transportfahrten für die Legion Condor nach Spanien und später nach Norwegen, doch mehr als ein „So hatte ich mir die Seefahrt eigentlich nicht vorgestellt“ entfährt ihm nicht. Auch als sein kleiner Sohn ihm droht: „Lass mich los, sonst sage ich ‚Heil Hitler‘ zu dir“, oder er als erster Elsflether für sein vermeintliches Heldentum im Krieg ausgezeichnet wird, nimmt Warns das eher beiläufig und ironisch distanziert hin. So wie Maugg die Geschichte erzählt, könnte Hans Warns auch gut aus Edgar Reitz’ Familienchronik „Heimat“ stammen oder ein Alter ego von Hermann Lenzens Eugen Rapp sein: ein innerer Emigrant, ein Mensch, dem die Lebensläufe mitspielen, der aber selbst nur wenig mitspielt. GERRIT BARTELS

Hackesche Höfe 2, Rosenthaler Straße