Safari im Pixelpark

Wie Maschinen Menschen sehen: Julia Scher hat ein „Überwachungsbett“ bei Schipper & Krome aufgebaut, und Holger Bär lässt in der Galerie Deschler Porno-Images von Atari-Computern malen

von DANIEL BOESE

Keine alten Kondome, keine Tampons und auch sonst keine Flecken von Körperflüssigkeiten oder Essensresten: Das „Überwachungs-Bett“ von Julia Scher ist schön sauber. Die Laken sind zwar ein wenig zerwühlt, die Kissen liegen auch nicht am Kopfende, und dazwischen liegt noch ein 20 Meter aufgerolltes Seil. Aber trotz der leichten Unordnung wartet das Bett darauf benutzt zu werden. Wenn man die Angst überwindet, das Kunstwerk zu berühren und für dieses eventuelle Fehlverhalten vom Galeristen ausgeschimpft zu werden, liegt man ganz bequem.

Allerdings steht man dabei unter Aufsicht, wird sozusagen in einen Loop aus Überwachung und Selbstbeobachtung eingesaugt: In den vier Bettecken stehen obeliskförmige Pfeiler, an denen jeweils ein kleiner Schwarzweißbildschirm und eine Videokamera befestigt sind. Die Bildschirme und die Kameras sind aufs Bett gerichtet und zeigen, was dort passiert. Oder schon passiert ist, denn das eigene Bild des Betrachters wird unterbrochen von Videomitschnitten vergangener Bettgeschichten: ein nackt schlafendes Pärchen, eine Gruppe redender Freunde oder drei Menschen bei Bondagespielen.

So entsteht ein komplexes Netz von Effekten: Einerseits wird das Bett zu einer Bühne, auf der Betrachter zu Akteuren werden. Dabei spielen die Videos verschiedene Handlungsmöglichkeiten vor, die befolgt werden können oder nicht. Andererseits wird die Verinnerlichung der Überwachung thematisiert. Keine Inszenierung geschieht ohne das Wissen um die Kamera, das Verhalten ist nicht natürlich, sondern selbst zensiert und genormt.

Das Verschmelzen von Beobachtung und Inszenierung wird durchaus mit einem feministisch kritischen Gestus genutzt: Der männlich überwachende Blick der Kameras, so Scher, wird zu einem weiblichen, der sich Raum zurückerobert. Sichtbar wird der veränderte Blick in den Sexszenen, die auf den Monitoren laufen: Der gezeigte Sex ist nicht voyeuristisch wie industrielle Pornos, da er zwar im Bewusstsein des Auges der Kamera geschah, aber nicht primär auf die Erzeugung von Reaktionen beim Betrachter ausgelegt ist.

„Surveillance Bed“ steht damit in einer Reihe mit Schers bisherigen Arbeiten, die sie beschreibt als multidimensionale Untersuchung „von sozialer Realität, in der künstliche Überwachungswelten und reale Räume verschmelzen“. Dabei manipuliert Scher nicht die Technik, sondern die Struktur der Überwachung: 1993 übertrug sie Bilder aus der Herrentoilette des Hamburger Kunstvereins in den Ausstellungsraum. Ebenso, wie dabei die Trennung zwischen Kunstwerk und Betrachter unscharf wird, so verwischt Scher bei ihrer Arbeit die Grenzen zwischen Kunst, Wissenschaft und Industrie.

Die 1954 in Kalifornien geborene Künstlerin lehrt und forscht über konzeptionelle Räume am Massachusetts Institute of Technology, dem Zentrum für die Entwicklung von Zukunftstechnologien der westlichen Welt.

Wahrnehmung von menschlicher Realität durch Technik ist ebenfalls Thema der neuesten Arbeiten von Holger Bär. Allerdings provoziert der Wuppertaler Künstler keine Bettperformance, sondern träumt vom Verschwinden des Künstlersubjekts: Der Künstler schreibt nur noch ein paar Zeilen Programmkode, den Rest erledigen die Maschinen. Die Ausstellung „Wie Maschinen Menschen sehen“ ist das Ergebnis dieses Gedankens.

Die Maschinen sehen die Menschen pornografisch, denn die Motive oder, besser, die Datenbasis der Bilder entstammt den kostenlosen Sexgalerien des Internets und wurde von einem Programm ausgewählt. Dann wurden die Vorlagen von Bärs selbst gebauten hydraulischen Malmaschinen, die von einem alten Atari gesteuert werden, auf Leinwand gemalt. Daher gleichen sie sich auch wie industrielle Produkte: Sie sind alle in identischen Gelb-, Orange- und Rottönen gehalten und besitzen das gleiche pointillistische Punktraster. Allerdings ist das Format variabel, von kleinen Details wie dem Frauenfuß in Highheels über eine 2 mal 2 Meter Gang-bangszene bis zur wandfüllenden Bildgruppe aus 25 Porträts orgasmisch verzogener Gesichter ist alles vorhanden. Bei so viel verpixeltem Porno stellt sich dann doch die Frage, ob das Künstlersubjekt vor dem Verschwinden seinen Maschinen einen sehr männlichen Blick hinterlassen hat.

Julia Scher: Always there – Surveillance Bed, bis 22. 12., Di bis Sa 11 bis 18 Uhr, Schipper & Krome, Auguststraße 91Holger Bär: Wie Maschinen Menschen sehen, bis. 3. 2. 2001, Di bis Fr 14 bis 19 Uhr, Sa 13 bis 17 Uhr, Galerie Deschler, Auguststraße 61