Woman Is The Nigger

55 Jahre nach Kriegsende müssen Frauen aus ganz Asien noch immer dafür kämpfen, von Tokio als Opfer sexueller Versklavung anerkannt zu werden

aus Tokio SVEN HANSEN

„Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass das humanitäre Völkerrecht durchgesetzt werden muss, damit sich keine Kultur der Straflosigkeit bildet“, sagt Gabrielle McDonald. Die amerikanische Juristin und frühere Präsidentin des Haager Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien steht deshalb von heute bis Dienstag dem „Frauentribunal über das Kriegsverbrechen der sexuellen Sklaverei des japanischen Militärs“ in Tokio als eine der Richterinnen vor.

„Die Nürnberger und Tokioter Kriegsverbrechertribunale waren eine bedeutsame Entwicklung, doch sie hatten einen erheblichen Fehler: Sie haben die Zwangsprostituierten nicht mal erwähnt“, kritisiert McDonald. In Asien sei so das Schicksal von etwa 200.000 Frauen und Mädchen, die in Truppenbordellen der kaiserlich-japanischen Armee tagtäglich vergewaltigt wurden, schlicht ignoriert worden. Das wollen die Organisatorinnen des Tribunals gutmachen.

Fünfundfünfzig Jahre nach Kriegsende verlangen die ehemaligen Zwangsprostituierten endlich Gerechtigkeit. Sie wollen ihre Würde zurückbekommen. Weil japanische Gerichte ihnen das bisher verwehrten, soll das inoffizielle Tribunal die Verbrechen an den Frauen öffentlich machen und die Verantwortlichen wenigstens symbolisch auf die Anklagebank setzen, wobei die meisten Täter längst nicht mehr am Leben sind. Zugleich soll gezeigt werden, wie diese bei ausreichendem politischen Willen hätten verurteilt werden können. Das Tribunal klagt den damaligen japanischen Kaiser Hirohito und hohe Regierungsmitglieder und Militärs der Kriegszeit wegen sexueller Sklaverei, Massenvergewaltigungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an.

„Sexuelle Sklaverei war schon damals ein Verbrechen nach dem Völkerrecht“, sagt Patricia Viseur-Sellers und widerspricht damit der offiziellen Position der japanischen Regierung. Die Beraterin des UN-Strafgerichtshofs in Den Haag ist beim Tribunal in Tokio eine der drei Anklägerinnen.

Mit Blumen für die verstorbenen Zwangsprostituierten ist gestern Abend das Tribunal eröffnet worden. 78 überlebende Frauen aus Nord- und Südkorea, China, Taiwan, von den Philippinen, aus Indonesien, den Niederlanden und Osttimor bestiegen, auf Helfer gestützt, die Bühne und legten unter dem Klang einer Harfe für die Opfer weiße Blumen auf ein schwarzes Podest. Anschließend sangen die meist über 70-jährigen Frauen, sich an den Händen haltend, mit den rund 500 Anwesenden, das Lied „We Shall Overcome“.

Für die Opfer ist die Reise ins Land der Täter nicht nur wegen des hohen Alters schwer. „Ich wurde im Alter von 11 Jahren verschleppt, jetzt hier in Tokio kocht mein Blut“, sagt die 73-jährige Kim Young-suk aus Nordkorea. „Wir führen das Tribunal hier durch, weil es das Land der Täter ist“, sagt Indai Sajor, eine der Organisatorinnnen von den Philippinen. Das Tribunal findet in Sichtweite des Kaiserpalasts statt, des damaligen Machtzentrums. Der Tenno war beim Tokioter Tribunal nach dem Krieg auf Wunsch der USA von einer Anklage verschont geblieben.

Das Tribunal habe zwar keine juristische Macht, aber eine moralische, sagt die japanische Koordinatorin Yayori Matsui. Aus Angst vor möglichen Bombendrohungen japanischer Rechtsradikaler sei ein Ersatzveranstaltungsort gemietet worden, berichtet Matsui. Bisher habe es zum Glück „nur“ telefonische Beschimpfungen gegeben. Den von vielen noch immer verehrten und verklärten Tenno in Japan öffentlich anzuklagen erfordert auch heute noch Mut.

Die japanische Regierung hat sich bisher nicht zu dem Tribunal geäußert und ist trotz Einladung nicht vertreten. Für die Regierung ist das Thema Zwangsprostitution offiziell abgeschlossen. Bis 1992 wurde die Beteiligung des Militärs an der sexuellen Gewalt geleugnet, dann wurde sie eingeräumt, verbunden mit einer Entschuldigung, die viele als halbherzig empfinden. 1995 initiierte die Regierung einen privaten Entschädigungsfonds – als Geste des guten Willens laut Regierung, als Zeichen des schlechten Gewissens nach Meinung der Opfer. Da die Regierung sich nicht offiziell zu ihrer Verantwortung bekennen will, haben die meisten Betroffenen das angebotene Geld abgelehnt.

Der Regierung schlossen sich auch Japans Gerichte an. Trotzdem wird die Regierung das Thema Vergangenheitsbewältigung nicht los. Nach dem Vorbild ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter des Dritten Reichs klagen inzwischen auch frühere Zwangsprostituierte und Zwangsarbeiter gegen Japans Regierung und Konzerne in den USA.