Wie Europa ganz legal Papierlose produziert

aus Paris DOROTHEA HAHN

Am Gartenzaun des portugiesischen Konsulats der Hafenstadt Mindelo im afrikanischen Inselstaat Kapverden hängt ein einziger Aushang: ein Modell für einen befristeten Arbeitsvertrag für Hausangestellte in Portugal. Sonst nichts. Täglich stehen junge Leute davor – unter ihnen ausgebildete Handwerker und Krankenschwestern. Die Jobs bei der früheren Kolonialmacht sind das beinahe letzte Nadelöhr, um dem heimischen Elend zu entkommen. Wer einmal hindurchgeschlüpft ist, hat es geschafft. Zwar droht nach Vertragsablauf unweigerlich die Papierlosigkeit, die Klandestinität – aber immerhin ist man dann schon mal in Europa.

Portugal ist mit dieser Praxis nicht allein. Auch andere europäische Länder haben bilaterale Abkommen über die Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen – immer mit befristeten Verträgen. Da es sich dabei in der Regel um frühere Kolonien handelt, lässt sich das – Schengen-Zone und Anwerbestopp in Europa hin oder her – leicht mit besonderen historischen Banden begründen. Die alten Kolonien, wo immer noch die eigene europäische Sprache gesprochen und viele kulturelle Gemeinsamkeiten geblieben sind, bleiben so Arbeitsreservoire für die „Mutterländer“. Kaum einer der Angeworbenen kehrt wieder heim. In Europa leben ganze Branchen von der Beschäftigung der billigen und rechtlosen Arbeitskräfte ohne Aufenthaltspapiere.

Während die Innenminister über die „Bekämpfung von Schleuser- und Schlepperkriminalität“ diskutieren, tragen ihre Regierungen so ganz legal zur Produktion von Papierlosen bei. Sie tun das nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit den Vertretern der interessierten europäischen Branchen.

„Das Personal von den Kapverden ist qualifiziert, flexibel und billig“, schwärmt ein portugiesischer Zeitarbeitunternehmer, der das Archipel nach Ausreisekandidaten durchsucht, „außerdem spricht es bereits Portugiesisch“. Mit Hilfe der Lissaboner Regierung hat der Mann auf dem Archipel eine Hotelfachschule eingerichtet. Dort bildet er sein Personal vor der Ausreise im Schnellverfahren aus. Auch wenn das vor allem den Kunden des Zeitarbeitnehmers im „Mutterland“ zugute kommt, kann er sein Engagement als – staatlich geförderte „Entwicklungshilfe“ und als „Qualifizierungsbeitrag“ für die Kapverden deklarieren. Auf den Inseln kennt jeder jemanden, der solcherart nach Europa gekommen ist.

Darüber, wie viele Papierlose heute, eineinhalb Jahre nach der Teilregularisierung durch die rot-rosa-grüne Regierung, in Frankreich leben, gibt es naturgemäß nur Schätzungen. Die Zahlen reichen von 200.000 bis zu weit über eine halbe Million Menschen. Unumstritten ist, dass ihr größter Arbeitergeber in der Hauptstadtregion die Gastronomie ist. Die Küchen in der Île de France würden umgehend zusammenbrechen, wenn es keine Sans Papiers mehr gäbe.

In Paris ist das ein offenes Geheimnis. Dennoch greifen die Behörden nur selten ein. 1997 kam ausnahmsweise einmal der Besitzer eines Nobelrestaurants deswegen vor Gericht. Alain Raye, Chef des „Belle Epoque“, in dessen Küche die Arbeitsinspektoren sechs papierlose Afrikaner und Asiaten fanden, die bis zu 75 Wochenstunden arbeiteten und nicht einmal die Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns verdienten, sagte zu seiner Verteidigung: „Alle in der Branche tun das so.“ Als er eine hohe Strafe von neun Monaten Gefängnis, davon acht auf Bewährung, bekam, protestierten zahlreiche Pariser Gastronomen gegen das „ungerecht harte Urteil“.

Als die Maschine der kapverdischen Gesellschaft TACV auf dem Pariser Flughafen Roissy landet, kommen französische Polizisten in die Gangway hinein. Noch bevor die Flugpassagiere einen Fuß auf das Territorium der „Heimat der Freiheit und der Menschenrechte“ setzen können, werden ihre Papiere kontrolliert. Wenn an dieser Stelle jemand keine Zugangsberechtigung hat, wird er umgehend zurück in die Maschine geschickt. Bei Flügen aus Afrika ist das Routine.