Dreistufenprogramm für drei Jahre

Weißrussland und die Ukraine gelten als europäische Aids-Hochburgen. Groß angelegte Kampagnen zeitigen erste Erfolge

BERLIN taz ■ Valentina Steschenko schlägt Alarm. Bis 2016, so die Chefin der Demographie-Abteilung der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, werde die Bevölkerungszahl in der Ukraine von 50 auf 45 Millionen fallen, heißt es in einem Bericht vom Oktober. Grund sei, bei einer angespannten Wirtschaftslage, vor allem eine stark gesunkene Geburtenrate. Doch das ist nicht alles. Zusätzlich rechnen Experten im gleichen Zeitraum mit Bevölkerungsverlusten zwischen 900.000 und 1,9 Millionen Menschen – Opfer von Aids.

Schon heute hält die Ukraine, von der WHO als Aids-Epizentrum in Europa bezeichnet, auf dem Kontinent einen traurigen Rekord. Offiziell waren bis zum 1. Oktober 2000 34.511 mit dem HI-Virus infizierte Personen registriert, davon 1.758 Kinder. Fachleute gehen von einer weitaus höheren Zahl aus. Bei 1.757 Menschen ist die Krankheit ausgebrochen, 838 sind daran gestorben. Wie anderswo in der ehemaligen Sowjetunion auch, tritt Aids vor allem im Drogen- und Prostituiertenmilieu auf. Allein im Zusammenhang mit Drogen wurden in mehreren ukrainischen Großstädten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 3.200 Neuinfektionen registriert. Aids ist aber längst nicht mehr auf diese Risikogruppen beschränkt.

Diese Situation zwang den Staat zum Handeln. Am 1. November unterzeichnete Staatspräsident Leonid Kutschma ein Dekret über die Einrichtung einer Regierungskommission, die ein Programm zum Kampf gegen Aids bis 2003 ausarbeiten soll. Die Gesundheitsbehörden beschlossen ein Dreistufenprogramm für die kommenden drei Jahre, in dessen Mittelpunkt Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit sowie deren Prävention stehen. Initiiert von Unaids läuft seit über einem Jahr ein Programm zur Aufklärung weiblicher Prostituierter und deren Klienten. Unter Leitung der Inderin Veena Lakhumalani arbeiten Nichtregierungsorganisationen in elf Städten an der Organisation von Selbsthilfegruppen der Betroffenen. Trotz erster Erfolge sind nach Meinung von Olga Balakireva vom Ukrainischen Institut für Sozialstudien die Möglichkeiten des Projektes, dessen Finanzierung durch die deutsche Regierung und den British Council jetzt ausläuft, ausgereizt. „Über das Projekt sind wir zu weiteren Problemen vorgestoßen, die gelöst werden müssen“, sagt Balakireva. „Dazu gehört die Notwendigkeit von Gesetzesänderungen, der Wandel von sozialen Verhaltensweisen sowie die Tatsache, Huren, Zuhälter und Freier für ihre Verantwortung zu sensibilisieren.“

Beim kleineren Nachbarn Weißrussland hingegen zeigt sich erstmals Licht am Ende des Tunnels. Jahrelang stand hier der Name Swetlogorsk als Synonym für die Aids-Katastrophe. In der 80.000-Einwohner-Stadt, von der unabhängigen Zeitung Belorusskaja Delowaja Gaseta unlängst als Hauptstadt von Aids und Drogenkonsum bezeichnet, deren Bewohner wie Aussätzige behandelt würden, sind zwei Prozent mit dem HI-Virus infiziert.

Eine landesweite Kampagne unter Ägide eines interministeriellen Komitees hat auch in Swetlogorsk zu ersten Ergebnissen geführt. So wurden hier seit 1998, seit Drogenabhängige anonym ihre Spritzen umtauschen können, etwa 2.000 Neuinfizierungen verhindert. Dennoch ist Optimismus verfrüht. „Ich glaube nicht, dass Weißrussland als Modell für die Region dienen kann“, sagt Bernhard Schwartlander von Unaids. „Sie haben Glück gehabt, dass es sie bis jetzt nicht schlimmer erwischt hat.“

BARBARA OERTEL