Düse im Sauseschritt

Die nächsten 100 Jahre sind gut vorauszusagen: Der Wissenschaftler Michio Kaku bei den Berliner Lektionen

Zur Zeit können wir es wieder in Aktion sehen, das Gesetz von der Verdoppelung. Wenn Günther Jauch zum Millionärwerden einlädt, geht es mit kleinen, sich Frage für Frage verdoppelnden Geldbeträgen los, um sich plötzlich mit denselben Verdoppelungsschritten in schwindelnde Höhen aufzuschwingen.

Dann wird Jauch ernst und die Frage schwer. Und dem Zuschauer gruselt es. Genauso ist es mit dem Fortschritt. Die Leistung des Computers verdoppelt sich alle 18 Monate. Am Anfang dauerte es lange, bis der digitale Rechner aus dem Quark kam, nun entwickeln sich die Kapazitäten so sprunghaft, dass mit seiner Hilfe die Entschlüsselung des menschlichen Genoms fünf Jahre zu früh fertig gestellt wurde. So funktioniert das Moore’sche Gesetz, und es ist eines jener Paradigmen, die überall in der Disziplin der Zukunftsforschung präsent sind und mit dem man zu erklären versucht, warum technologische Entwicklung nicht nur andauert, sondern sich stetig zu beschleunigen scheint.

Für diese Zukunftsarbeit gibt es Menschen wie Michio Kaku, Professor für theoretische Physik, entschiedener Kernkraftgegner und renommierter Prophet. Am Sonntag luden ihn Bertelsmann und die Berliner Festspiele im Rahmen der Berliner Lektionen ins Renaissance-Theater zu einer Lektion in Sachen Zukunft.

Und Kaku ließ sich nicht lange bitten. Denn es ist Halbzeit. 100 Jahre nach der Entdeckung der Quantentheorie treten wir in ein neues Zeitalter der Wissenschaft ein. Die nächsten 100 Jahre, so Kaku, kann man nun ganz ordentlich voraussagen. Fast alle Rätsel sind gelöst, die erste große Phase der Wissenschaftsgeschichte ist vorbei – vom Beobachter der Natur werden wir jetzt zu ihrem Gestalter. Michio Kaku ist Optimist. Beim Thema Zukunft ist kein Platz für Überlegungen darüber, dass jede Technologie nicht nur Verfügungsmacht, sondern auch neue Abhängigkeiten mit sich bringt. Kein Wort auch zur sozialen Verantwortung. Das Problem des Zugangs zur Technologie löst sich für Kaku auf in der Behauptung, wie Papier und Elektrizität sei auch der Computer eine Technik, die es schon bald praktisch umsonst gäbe. Das einzige wirkliche Problem sieht Kaku im Missbrauchspotenzial der Gentechnik. Aber dieser kleine Einwand wirkt im Getöse seiner Begeisterung eher wie die missmutig zugestandene Einlösung einer Nachdenklichkeitsquote.

Über die Probleme von Revolutionen erfährt man also nichts. Im Gegensatz zu anderen Vertretern seiner Zunft aber sind Kakus Voraussagen hinreichend fundiert durch einiges an Wissen über aktuelle Forschungsprogramme. Die virulente Fantasie von der Heraufkunft überlegener Maschinenintelligenz im Jahre 2050 kann auf diese Weise schnell devaluiert werden. Denn sie geht davon aus, dass besagtes Moore’sches Gesetz bis dahin seine Gültigkeit nicht verliert.

Dann wäre genau zur Mitte des 21. Jahrhunderts eine Prozessorleistung von 500 Trillionen Bytes pro Sekunde erreicht, was der Verarbeitungsgeschwindigkeit des menschlichen Hirns entspräche. Wer wie Michio Kaku die Quantentheorie (auf deren Thesen die Technologie des Siliziumchips aufbaut) kennt, muss skeptisch sein: 2020 werden durch die Kraft des Moore’schen Gesetzes die Schichten der Mikroprozessoren eine Dichte von fünf Atomen erreichen. Ab dieser Größenordnung aber wird die so genannte Heisenberg’sche Unschärfe, nach der man niemals wissen kann, wo das Elektron sich in einem Moment befindet, so dominant, dass es zu Unsicherheiten und zu „undichten“ Chips käme. 2020 also ist Moor am Ende. Es muss neu angefangen werden. Wahrscheinlich, so Kaku, mit Quantencomputern. Bei Jauch hat schließlich auch noch keiner die Million geholt. SEBASTIAN HANDKE