Der kleine Chef im Ring

■ Moby nahm dem Publikum im Pier 2 die Berührungsängste zwischen Pop und Techno

Es ist schon erstaunlich, was für ein Völkchen sich versammelte, um den Nachschlag zu Mobys „Play Tour“ nicht zu verpassen. Knapp 3.000 erwartungsvolle Gesichter freuten sich im vollen „Pier 2“ über das Bremer Gastspiel, und nicht unbedingt jene Art von Leuten, die man bei einem der „Alt“-Meister der DJ- und Technoszene vielleicht erwartet hätte. Keine Techno-Jünger begrüßten den Wahl-New Yorker. Es wird eher ein Abend unter Gleichaltrigen für den 35-Jährigen. Winterjacken werden anbehalten, hier raved niemand.

Was treibt sie zu Moby, der seinen Namen vom Großonkel Herman Melville „erbte“, dem Autor von „Moby Dick“? Eine kleine Comic-Figur war es, die ihn über die Clubs hinaus bekannt machte. Mit herzerweichenden Augen beklagte der „Little Idiot“ im Videoclip sein Leid: „Why does my heart feel so bad?“. Eine kleine Popnummer, so dermaßen betörend, dass selbst geschmacksfreies Format-Radio zugriff und den Song zum Hit rotieren ließ. Weitere Lieder folgten wie das aktuelle „Porcellaine“, allesamt vom Album „Play“, das sich inzwischen in den Charts zwischen Spice Girls und Die Ärzte einreihen muss.

Dabei entstammt Moby, dieser kleine, kahlgeschorene Sympathie-Träger, im Grunde einem Genre, das sich fernab aller Popkultur eher in den dunklen hippen Locations von noch hipperen Metropolen abspielt. Unspektakulär betritt er die Bühne, wie schon eine Woche zuvor als Preisträger bei den „MTV European Music Awards“, wo er in Pulli und Jeans verkündete: „Im not very stylish today.“ Etwas stylisher jedoch die Bühne im „Pier 2“ schlicht aus ein paar Tüchern und geschicktem Licht. „Do you feel it?“, fragt Moby. Was folgt ist ein Abriss seines Schaffens. Klassische Club-Nummern mischt er mit aktuellem Play-Material. Welten liegen zwischen ruhigen, smarten Songs wie „Natural Blues“ oder treibenden House-Mixes, „für alle, die schon mal bis zum Morgengrauen auf einem Feld getanzt haben.“ Dann steht er dort, der unscheinbare Kerl, lässt allerlei Technik und seine hervorragende Band für sich arbeiten, betrachtet fast unbeteiligt das Ergebnis. Um dann wieder auszubrechen, loszurennen, Drumpads, Congas und Keyboards zu bearbeiten. Es ist seine Musik, er ist Chef im Ring, lässt es sich nicht nehmen, wie ein Dirigent auf Speed seine Sounds zurechtzufeilen.

Keinen Hehl macht Moby, der bekennende Christ, Veganer und Drogen-Verweigerer, aus den Quellen seiner Inspiration. Ganz DJ saugt er Einflüsse auf, mischt neu zusammen. Ein alter Gospel wird groovy neu erzählt. Er nimmt Led Zeppelins Gitarren-Riff zu „Whole Lotta Love“, das „ein paar Töne zuviel“ hat und vor allem „zu langsam“ ist. Es entsteht „Bodyrock“. Auch als sein Handwerkszeug nimmt sich der New Yorker, was ihm gefällt. Firm ist er in allen Bereichen, ob als Sample-mischender Discjockey, als Songwriter an Akustik-Klampfe oder Piano, als Musiker mit Liveband in klassischer Rockbesetzung und nicht zuletzt als begnadeter Komponist, der aus allen diesen Elementen Songs auf die Bühne bringt.

Und so kriegt er sein Publikum, auch wenn es vielleicht nur den „Little Idiot“ aus den Videos so niedlich fand. Menschen, die mit Begriffen wie „Techno“ oder „Rave“ allenfalls zuckende Teenies unter bestimmt gefährlichen Drogen verbinden, erleben elektronische Beats bei diesem kleinen, kahlgeschorenen DJ als das Selbstverständlichste der Welt. Und hüpfen, springen, zucken, schreien. Ob zu knallendem Techno oder zu ruhigen Stücken mit Anekdoten aus dem Big Apple. Volker Peschel