Planet der Lobbyisten

Erst verlängern, dann feilschen: Atomkraft in den Entwicklungsländern? Ein Fonds, in den Umweltsünder einzahlen müssen?

„Auf meiner Insel Funafutigibt es keinen Berg, aufden ich klettern kann, wennder Meeresspiegel steigt“

aus Den Haag MAIKE RADEMAKER

„Achtung! Wenn Sie das Kongressgebäude in diesen Tagen betreten, befinden Sie sich auf UN-Territorium“, warnte Michael Cutajar, der Leiter des UN-Klimasekretariats (UNFCCC), jene Demonstranten, die vor einigen Tagen den Prozess der Weltklimakonferenz gestört hatten. Er hätte auch sagen können: Wir befinden uns auf einem komplett anderen Planeten.

Es sind alle da, und sie werden so lange bleiben, bis es ein Ergebnis gibt, wie auch immer das aussehen mag: Regierungsvertreter aus 180 Staaten. Wirtschaftslobbyisten. Torten werfende Umweltschützer. Komiker. Lügner. Intriganten. In den endlosen, von Papier überquellenden Gängen Verirrte. Freiwillig Hungernde, die auf die Klimakatastrophe aufmerksam machen wollen, und unfreiwillig Hungernde, die nichts essen, weil es zu teuer ist. Eine Welt für sich, ohne Sonne in dem größtenteils fensterlosen Gebäude, ohne Zeitgefühl angesichts von Verhandlungen, die bis 3 Uhr morgens gehen und um 8 Uhr wieder beginnen.

Alle Protagonisten verbindet eines: Sie sind davon überzeugt, dass sie zu den Guten in der echten Welt gehören und dass sie das Richtige für das Klima tun. Eigentlich sollte heute schon festgestellt werden, wer der Böse ist: Wer den größten Kompromiss beim Klimaschutz eingegangen ist und wer sich das größte Schlupfloch gesichert hat, um doch keine Emissionen einzusparen. Aber dann war klar: man braucht länger, um gemeinsam etwas zu Papier zu bringen.

Teleke P. Lauti, Umweltminister der tropischen Inselgruppe Tuvalu, rief in seiner Rede zu Kompromisslosigkeit auf: „Auf meiner Insel Funafuti gibt es keinen Berg, auf den ich klettern kann, wenn der Meeresspiegel steigt. Mein Kabinett überlegt, ob wir nicht Land kaufen sollen, irgendwo anders, wo wir hinflüchten können.“

Nun müssen aber noch viele Kompromisse geschlossen werden. Der Härtetest wird die Diskussion darüber, ob Wälder als Kohlendioxidspeicher anerkannt werden sollen. Niemand hatte vor drei Jahren auch nur geahnt, dass sich hier einmal das größte Schlupfloch für ein Land ergeben könnte, echten Emissionsreduktionen aus dem Weg zu gehen. Und bis gestern blieben die USA und Kanada eisern dabei, dass sie die Wälder als Senken anerkannt haben möchten.

Was auch immer für Kompromisse heute und morgen noch geschlossen werden – wenn es um Wälder als Kohlendioxidspeicher geht, darum, ob Atomkraft als saubere Energiequelle anerkannt wird oder nicht –, in einer Sache darf es keinen Kompromiss geben, damit nicht selbst das schwächste Ergebnis dieser Konferenz ein Null-Ergebnis wird: was mit den Sündern zu geschehen hat. Mit denen, die 2012 achselzuckend sagen werden: „Very sorry (denn die Sünder werden auf jeden Fall die höflichen Amerikaner sein, die jetzt schon insgesamt 20 Prozent Emissionen zu viel produzieren), wir haben das Ziel von Kioto, bis 2012 die Emissionen zu reduzieren, leider nicht erreicht.“

Alle sind sich einig – zumindest rhetorisch –, dass Strafe sein muss, dass sie bindend sein muss, dass sie wehtun muss und dass darüber jetzt entschieden werden muss. Die Regierungsvertreter sind nach Artikel 18 des Protokolls schließlich verpflichtet, „angemessene und effektive Mechanismen“ für den Umgang mit Dreckschleudern zu finden.

Einen heiß diskutierten Vorschlag dafür, der viel Anklang findet, haben die Entwicklungsländer vorgelegt, denen als Betroffenen am meisten an einem wirksamen Protokoll liegt. Sie packen die Industrieländer dort, wo es wehtut: beim Geld. Ein Fonds soll eingerichtet werden, in den die Schuldigen pro überschrittene Emissionstonne einzahlen müssen. Mit dem so gesammelten Geld sollen dann entsprechend emissionsmindernde Projekte finanziert werden. Gekämpft wird hauptsächlich noch darum, wieviel pro Tonne eingezahlt werden muss.

Der Vorschlag findet Gefallen bei der EU. Der Preis pro Tonne müsste allerdings nach 2012 – nach Ablauf der Erfüllungsperiode von Kioto – höher sein, damit die Sünder sich wirklich um Einhaltung bemühen. Außerdem soll für die Straffälligen ein Plan aufgestellt werden, den die Länder einhalten müssen, um ihr Klimaziel doch noch zu erreichen. Die Amerikaner – wer sonst? – versuchen, diesen Vorschlag aufzuweichen. Sie würden sich gerne bei der Zukunft die Erlaubnis „leihen“, weiter zu viel Kohlendioxid zu emittieren, und tun damit so, als könnte man auch die Klimaveränderung in die Zukunft verschieben.

Auf Kurs zurückbringen wollte Greenpeace gestern diejenigen, die in Den Haag exakte Vereinbarungen zu umschiffen suchen. Die Umweltschützer schalteten vor dem Konferenzgebäude einen durchdringenden Alarmton ein mit dem Hinweis, dass nur noch wenige Stunden verblieben sind.

Drinnen war nichts zu hören.