Poetischer Dub-Marxismus

Klar und deutlich über Rassismus und Rasta sprechen: Linton Kwesi Johnson und „Sinsemilia“ in der Markthalle  ■ Von Nils Michaelis

1980, Bob Marley tourte gerade durch Deutschland, warben in der Juni-Ausgabe des Musikmagazins Sounds gleich zwei ganzseitige Anzeigen für verschiedene Reggaeplatten: Die eher zweitklassigen Steel Pulse wurden empfohlen, Aswad und Third World. Entscheidender war: Der Plattenrezensionsteil eröffnete mit einer lobhudelnden Kritik zur Linton Kwesi Johnsons Platte Bass Culture. Rezensent Michael O.R. Kröher betonte, dass Reggae sonst überhaupt nicht seine Sache sei, dass ihm Bass Culture aber als sehr „authentisch“ und „ohne Pose“ erscheine, an der Produktion nichts „überkandidelt“ klinge und „LKJ sagt klar und deutlich, für jedermann/frau verständlich, was er meint“.

So sehr man heutzutage über Kröhers hippieeske, vorpostmoderne Argumentation schmunzeln mag, im Kern hatte er gar nicht einmal unrecht, half er zumindest den Mythos LKJ zu zementieren, auf den sich im folgenden neben Hippies, Punks und streetfightenden Autonomen auch bereits die nächs-te, heutige Dancehall-Soundsys-tems betreibende Reggae-Generationen einigen konnte.

Bass Culture bestach durch die Verbindung von zurückhaltenden Arrangements und Johnsons Prä-Rap-Gesangsstil, der sachlich unterkühlt explicit marxistische Lyrics verbreitete: Statt eines Rasta-Preachers war er ein Politik-Teacher. Und als letzterer verabschiedete er sich nach Bass Culture weitgehend vom Showbiz. Von einigen Dub-Remixen und Live-Platten abgesehen, wurde wenig veröffentlicht, was den Ausnahmestatus Johnsons hätte verderben können.

Dabei tat Johnson während der 80er und 90er Jahre, was er bereits seit den 60er und 70er Jahren verfolgt hatte. 1963, als Elfjähriger seinen Eltern von Jamaika nach London folgend, war er immer wieder rassistischen Erfahrungen, auch innerhalb der britischen Linken, ausgesetzt. Rassismus war für ihn kein Nebenwiderspruch, sondern das tägliche Brot der Ausgrenzung. Früh schloss er sich einer britischen Sektion der Black Panther-Bewegung an und begann bald darauf mit einem Soziologiestudium, das ihn in Kontakt mit dem schwarzen marxistischen Theoretiker C.L.R. James brachte. Immer blieb er der schwarzen britischen Linken verbunden, sei es als ein über Reggae schreibender Journalist oder als Aktivist verschiedener Basisgruppen.

Daneben war Johnson als Künstler aktiv, schrieb die vom Patois gefärbten Lyrics, die 1974 in Buchform veröffentlicht wurden und ihm als „Dub-Poet“ einen Namen machten. Zusammen mit anderen Dichtern und einem Schlagzeuger setzten sich Johnson dann daran, die Texte musikalisch umzusetzen. Sein Vorbild war der legendäre jamaikanische DJ U-Roy, der aus dem Ansagen von Plattentiteln eine eigene, HipHop-ähnliche Gesangstechnik entwickelt hatte. 1978 war mit Dread Beat An'Blood dann Johnsons Name erstmals auf einer Schallplatte zu lesen. Allein das Coverfoto war ein Manifest: Statt mit zutiefst bedeutungsvollen Exotismen zu hausieren, gab es ein nüchternes Schwarz-Weiß-Foto zweier britischer Polizisten und einer Polizeiwache vor der Johnson per Megaphon eine Ansprache hält. Im verschwommenen Vordergrund erkannte man an den Ballonmützen eine zuhörende Rastagruppe. Dass er sich, trotz aller marxistischen Abgrenzungen, dieser Kultur verbunden fühlt, äußerte er unlängst in einem Interview: „Rasta war ein wichtiges Gegengift gegen 400 Jahre kolonialistischer Gehirnwäsche, die dazu geführt hat, dass sich viele Schwarze wegen ihrer Hautfarbe minderwertig fühlen.“

heute, 21 Uhr, Markthalle