„Artenvielfalt im Mittelpunkt“

Klaus Töpfer, Vorsitzender des UN-Umweltprogramms, über die vielen Funktionen von Wäldern: nicht nur als Speicher von Kohlendioxid, sondern auch als Lebensraum für Tiere und Pflanzen und als Schutz gegen Überschwemmungen

Interview: MAIKE RADEMAKER

taz: Mit der Anlage von Wäldern könnte theoretisch viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre gezogen werden. Die Idee wird hier heiß diskutiert. Was halten Sie davon?

Klaus Töpfer: Wir haben mehr als eine Konvention, nicht nur die Klimarahmenkonvention. Wir haben auch noch die Artenvielfalts-Konvention, wo die Wälder eine ganz bedeutende Rolle spielen, und die Wüstenkonvention, wo die Landnutzung eine ganz entscheidende Rolle spielt. Es geht nicht darum, die Wälder als Kohlendioxidspeicher, als Senken, zu aktivieren. Wir müssen sie unter dem Gesichtspunkt der Stabilisierung der Natur und sie für den Menschen als Existenzgrundlage erhalten. Ich glaube, wir machen einen ganz großen Fehler, wenn wir die Wälder lediglich so sehen, als wäre das nur eine große Fabrik zum Binden von Kohlenstoff. Wir müssen die Konvention sehr viel stärker unter dem Aspekt der Anpassung sehen statt als Mittel zur Vermeidung von Klimawandel.

Was haben denn Wälder mit der Anpassung an den Klimawandel zu tun?

Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Wir sind nicht in der Prognose des Klimawandels, wir sind im Klimawandel. Wir verlieren pro Jahr 14 Millionen Hektar Wald und damit unglaublich viel Artenvielfalt. Die Probleme, die wir z. B. in China am Yangtse-Fluss mit den Überschwemmungen gehabt haben, haben damit zu tun, dass am Oberlauf des Flusses entwaldet worden ist. Ich glaube, dass wir auf dem Gebiet sehr genau differenzieren müssen. Sinnvolle Aufforstungsmaßnahmen zum Schutz vor Überschwemmungen dürfen wir nicht dadurch diskreditieren lassen, dass andere sie als Senken missbrauchen wollen. Wälder schützen auch vor Erosion und Überschwemmungen.

Die USA wollen Wälder aber unbedingt als Kohlendioxidspeicher anrechnen lassen.

Wir müssen klare Richtlinien festlegen und ein klares Überprüfungssystem. Wenn Kriterien der Artenvielfalt, der Erhaltung von Produktivitäten, Schutz vor Erosion gegeben sind, dann sind das Kriterien, die wir ernst nehmen müssen. Aber wenn es nur das Kriterium gibt, dass Wälder Kohlendioxid aus der Atmosphäre ziehen, dann ist das falsch. Es ist auch die Aufgabe meiner Organisation, solche Richtlinien zu entwickeln und zu überprüfen. Aber lassen Sie uns das nicht hier entscheiden, in Den Haag, sondern in Pilotprojekten machen, und dann sehen, was dabei herauskommt. Sind das Monokulturen, dann ist das falsch, sind das artensichernde Investitionen, dann ziehen wir viele echte Vorteile aus der Idee.

Sollte also die ganze Diskussion um die Wälder als Senken vertagt werden?

Wälder als Senken ja, aber nicht die Artenvielfalt. Wir sollten nicht die Notwendigkeit vertagen, dass wir uns dafür engagieren, dass Wälder erhalten bleiben und Wälder in Artenvielfalt weiter entwickelt werden. Es hat ja auch niemand von Kohlendioxidspeichern gesprochen, wenn Umweltschützer gesagt haben, boykottiert tropische Hölzer in Deutschland. Sondern sie haben sich dafür engagiert, diese Wälder wegen ihrer Artenvielfalt zu erhalten, und ich glaube, dass sollte man in den Mittelpunkt stellen.

Morgen soll es hier zu einer Entscheidung kommen. Was erwarten Sie für einen Ausgang der Konferenz?

Ich bin nach wie vor realistisch-optimistisch. Das heißt konkret, wir werden nicht alle das bekommen, was wir möchten. Aber wir werden eine stabile Basis bauen können, sodass diese Konvention ratifiziert werden kann, ohne dass die ökologische Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird. Damit ist der Prozess aber nicht beendet, das ist nicht die letzte Vertragsstaatenkonferenz.