Im Namen der Dose

Blaupausen und lebenslange Leidenschaften: Mit seinen Bands Smoke City und Da Lata bringt der Londoner Musiker Chris Frank klassische brasilianische Sounds und moderne Clubmusik zusammen

von CORNELIUS TITTEL

Es hätte Chris Franks Sommer werden können. Ein Sommer, in dem auch die verschnarchteste Zeitgeistpostille die Fusion brasilianischer Rhythmen mit aktuellen Clubsounds zum nächsten großen Ding aufbauschte. Ein Sommer, in dem „brazilectro“-Compilations in den CD-Wechslern der Boutiquen und Cafés von Berlin-Mitte heißliefen.

Wenn jemand, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, das Album zum Hype hätte produzieren können, es wäre Chris Frank gewesen. Sieben Jahre ist es her, dass der Londoner mit seinem Partner Patrick Forge und der Sängerin Liliana Cachian all das vorwegnahm, was heute Clubgänger von Kioto bis London in Verzückung versetzt. „Ponteio“, der Break ’n’ Bossa-Blueprint seines Da-Lata-Projekts, ging damals um die Welt und versöhnte zum ersten Mal zwei sich bis dato skeptisch beäugende Lager: Die Rare Groove und Acid-Jazz-DJs liebten das Stück für sein organisches Arrangement und den entspannten Retro-Vibe, die House-DJs mochten es, weil es sich perfekt in ihren Mix einfügen ließ und vor allem auf die Tänzerinnen einen extrem euphorisierenden Effekt auszuüben schien. Der Track war sexy und druckvoll zugleich, DJ-Legenden wie Francois Kevorkian und Joe Claussel hievten ihn auf Platz 1 ihrer Jahrescharts, und das japanische Remix-Magazin orakelte schon 94 etwas vom „best dance tune of the nineties“.

Doch auf die erste Single folgte zunächst – nichts. Stattdessen partizipierte Chris Frank zwischenzeitlich an der Band Smoke City, die mit dem Bossa-Triphop „Underwater Love“, der einen Levi’s-Werbespot akustisch umspülte, unverhofft einen weltweiten Hit landete. Nun aber, eine Ewigkeit später, erscheint „Songs from the Tin“, das Debüt-Album von Da Lata.

„Seit sieben Jahren“ erzählt Chris Frank, „hatte ich vor, diese Platte aufzunehmen – genau so, wie sie jetzt geworden ist: alles live eingespielt. Ein klassisches brasilianisches Album – traditionell, aber nicht folkloristisch. Es ist nicht immer einfach, genau die Musik zu machen, für die man Leidenschaft empfindet. Von einer Platte wie dieser könnte ich niemals leben, und so habe ich in den letzten Jahren viel anderes gemacht. Vor allem der enorme Erfolg von ‚Underwater Love‘ mit Smoke City hat mich finanziell etwas abgesichert.“

„Songs from the Tin“ ist ein Statement in Zeiten, in denen es oft genügt, eine Bassdrum unter ein paar Takte Bossa Nova zu legen, um einen veritablen Clubhit zu landen. Man spürt, dass die Platte Ausdruck einer lebenslangen Leidenschaft ist, die für den Sohn eines deutschen Vaters und einer holländischen Mutter einst im elterlichen Wohnzimmer begann: als seine Eltern Bossa-Nova-Platten auflegten, sobald Gäste zu Besuch kamen. Für sie sei es bloß die perfekte Easy-Listening-Party-Musik gewesen, für ihn schon immer mehr: „Meine Eltern schickten mich zum Klavierunterricht, und später fing ich dann an, Gitarre zu spielen – Blues und Rock und so. Aber als ich mit 15 wieder ‚Cocovado‘ von Joao Gilberto im Radio gehört habe, wusste ich, das diese Musik, die ich als kleines Kind schon so zauberhaft fand, genau das ist, was ich fühle und was ich immer spielen wollte. So habe ich angefangen, nach den Platten zu suchen, auf die Konzerte zu gehen und auch immer mehr Brasilianer kennen zu lernen.“

Den aktuellen Boom brasilianisch inspirierter Clubmusik betrachtet Chris Frank mit gemischten Gefühlen: „Wenn ich mir anschaue, wie viele brasilianische Projekte auf dem Markt sind, bin ich schon ein bisschen stolz. Vor ein paar Jahren gab es genau zwei: Da Lata und Smoke City. Und ich weiß auch von Bebel Gilberto, mit der ich ein Stück für ihr Album aufgenommen habe, dass sich viele vom Erfolg von Smoke City ermutigt fühlten, etwas Ähnliches zu probieren.“

Andererseits ginge ihm auch vieles auf die Nerven. Wenn man sich eine Kultur aneigne, die nicht die eigene ist, sei es doch respektlos, Dinge zu klauen, ohne ein tieferes Verständnis davon zu haben. Ihm jedenfalls sei es immer wichtig gewesen, viel Zeit in Brasilien zu verbringen, die Sprache zu lernen und zu verstehen, wovon seine Helden singen. Und erst jetzt, nach all den Jahren, fühle er sich besser dabei, brasilianische Musik zu interpretieren „Was ich mit Da Lata gemacht habe, ist eine Interpretation, keine Nachahmung – weil es sowieso unmöglich ist, wie ein Brasilianer zu spielen. Aber auf eine eigene Art kann man es nur machen, wenn man sich die Zeit nimmt, die Kultur zu verstehen.“

Chris Frank, da besteht kein Zweifel, hat sie sich genommen. Und auch wenn sich der behutsam gepflegte Purismus auf den „Songs from the Tin“ nicht in Verkaufszahlen ausdrücken wird – man muss sich wohl keine Sorgen um ihn machen: Das für Mitte nächsten Jahres angekündigte zweite Smoke City-Album dürfte es schon richten.

Da Lata: „Songs from the Tin“ (Palm Pictures Records)