Personalüberhänge auf die Straße!

Auch wer kein Straßenbaufacharbeiter ist, kann als Straßenbegeher eingesetzt werden und dann manchmal dienstlich auf gesperrten Wegen durch den Wald fahren. An Straßenpfählen wird gerüttelt, am Terminplan dagegen nicht

Auf den hauptstädtischen Straßen flaniert gewiss ein jeder gern, das wissen selbst die, die es eigentlich gar nicht tun. Wie schön, dass sich mancher für das Zu-Fuß-Gehen auch noch bezahlen lassen kann. Von wem? Natürlich von der Verwaltung – welches betriebswirtschaftlich denkende Unternehmen würde schon . . .? Aber im Ernst: Der Beruf des Straßenbegehers hat seine gute Berechtigung. Das Land Berlin ist schließlich „schuld“, wenn jemand in einem plötzlich sich auftuenden Loch versinkt, von einem Parkverbotsschild erschlagen wird oder auch nur auf den falschen Weg gerät, weil jemand böswillig die Straßennamensschilder verdreht hat.

Dass solche Risiken gering gehalten werden, dazu ist der Straßenbegeher da, genauer: einer der rund 50, die es in Berlin gibt. Mit wachen Augen muss er seine Runden drehen – nach einem strengen Zeitplan. Pro Arbeitstag sind 12,5 Kilometer abzulaufen, in der Stunde dürfen es aber nicht mehr als 2,5 Kilometer sein, damit ihm nichts entgeht. Nicht nur der feste Boden unter den Füßen steht unter seiner Verantwortung, auch Straßenlaternen, Fahrbahnmarkierungen, Schilder, Bäume und Brunnen. Über die Perspektive des Fußgängers kommt er dabei allerdings in der Stadt nicht hinaus, befahren werden nur längere Waldwege.

Das ganze Straßennetz ist in Routen eingeteilt. Stärker von Autos oder Fußgängern benutzte Straßen, auch sämtliche mit Busverkehr, sind alle vierzehn Tage dran, die übrigen alle acht Wochen. Privatstraßen des öffentlichen Verkehrs wurden dieses Jahr aus dem Gesetz gestrichen – wer sich Bauen leisten kann, soll auch selbst nach dem Rechten sehen. Und aus ebensolchen Einsparungsgründen wurden schon in den Neunzigerjahren die Fristen gestreckt, in denen die Rundgänge stattfinden müssen.

„Man kann nicht zu jeder Zeit an jedem Ort einen gefahrlosen Zustand schaffen“, erklärt Ingo Runge, Leiter der Straßenunterhaltung beim Tiefbauamt Reinickendorf. Verlange jemand für einen Schaden Ersatz, müsse der Bezirk beweisen, dass er das ihm „Zumutbare“ zur Gefahrvermeidung „geleistet“ hat. So hat der Begeher etwa an Schilderpfosten zu rütteln, um zu prüfen, ob sie noch fest stehen. Mit seinem Dienstausweis und den Formularen, auf denen er die Schäden einträgt, wird er Passanten, die sich darüber wundern, leicht aufklären können.

Auch konfliktträchtigere Situationen kann es geben. Baustellen dürfen nur so groß sein wie genehmigt. Auch Privatleute können durch Missachtung des Straßengesetzes eine Ordnungswidrigkeit begangen haben, die nun der Begeher aufdecken hilft. Absichtliche „Aufgrabungen“ werden kaum nachzuweisen sein, aber leicht zu ermitteln ist, wer eine Gehwegverwerfung durch Wurzeln nicht verhindert hat. Und Autos dürfen, bitte schön, nur im Bereich von Hauseinfahrten auf den Bürgersteig!

Vom Flaneur unterscheidet sich der Begeher auch darin, dass er nicht nur bei schönem Wetter draußen ist. Der Zeitplan geht über alles – „die Begehung hat absoluten Vorrang“. Ob’s stürmt oder schneit, spielt generell keine Rolle – schwierig wird es, wenn der Begeher (ebendeswegen?) krank ist. „Alles liegt in unserem Organisationsgeschick“, erklärt Runge, Chef von vier Begehern in Reinickendorf. Notfalls muss ein anderer Mitarbeiter auf die Piste geschickt werden, „ich habe auch selber schon mal ’ne Begehung gemacht“.

Wie wird man Straßenbegeher? Eigentlich, erklärt Runge, ist eine abgeschlossene Ausbildung als Straßenbauer erforderlich. Viele Bezirke setzen aber auch Angehörige „abweichender Berufsgruppen“ ein, aus Personalüberhängen, nachdem sie weiterqualifiziert wurden. „Viele Bezirke haben auch Mischarbeitsplätze eingerichtet.“ Einen halben Tag arbeitet man da auf der Straße, die andere Hälfte am Schreibtisch. Wie schön!

MATTHIAS FINK