Kreisen um die Kaaba der Club-Culture

Popkultur als Wirtschaftsfaktor: Eine Konferenz zu „Music and Urban Economic Regeneration“ tagte in Liverpool

Five days a week unterscheidet sich Liverpool kaum von anderen europäischen Städten, die ihre industriell-merkantile Vergangenheit hinter sich lassen und der Zukunft der New Economy zustreben wollen. „From Seaport to E-Port“ heißt dies in der Slogansprache und findet Ausdruck in einer schmucken Dock-Anlage am Hafen, die seit ihrer Renovierung das gängige Ensemble aus Kultur, Kommerz und kostenintensiver Wohnfläche beherbergt. Jedes Wochenende aber strömen tausende von Teenies aus ganz England in die Stadt, ziehen wie Pilger ihre Kreise durch Bars und Pubs, um schließlich in der Kaaba der Club-Culture zu landen, dem Cream Club am Wolstenholme Square.

Dieses lärmende Cluster des unbedingten Amüsierwillens hat längst die Aufmerksamkeit europäischer Kulturpolitik auf sich gezogen. Auch darum trafen sich am vergangenen Wochenende in Liverpool Politiker und Kulturmanager aus 16 Ländern, um unter dem Titel „Music and urban economic regeneration“ über jene Rolle zu sprechen, die Musik – insbesondere Popmusik – im Prozess des wirtschaftlichen Neuaufbaus von Städten einnimmt. Organisiert wurde das Treffen von „Les Rencontres“, einer 1992 ins Leben gerufenen Vereinigung von Vertretern aus den Städten und Regionen Europas. 1999 wagte man sich dabei erstmalig an das Stiefkind der (Pop-) Musik heran. Diese Tatsache als solche ist bereits beachtlich, operieren doch viele Verwaltungen noch immer mit einem Kulturbegriff, der noch im 19. Jahrhundert en vogue war, während sie ihre Kontakte zur Jugendkultur auf Anlässe beschränken, von denen sie sich Pluspunkte bei Jungwählern erhoffen – die Auftritte Berliner Entscheidungsträger zur Love Parade sind da beispielhaft.

Auch die Konferenz von Liverpool zeigte, dass sich Politiker, in ihrer Altersstruktur mehrheitlich näher an der Rente als am Taschengeld, bestenfalls mit schönen Worten und großer Vorsicht auf die Jugendkultur zubewegen. Sie sehen in ihr eine Subkultur, deren permanente Selbsterneuerung viel zu schnell abläuft, als dass man sie mit den Mühlen der Bürokratie erfassen könnte.

Es waren die Vertreter der Stadt Liverpool, die den modernsten Ansatz präsentierten. Hier hat man schlicht erkannt, dass im Kultur- und Kreativbereich über 14.000 neue Jobs geschaffen wurden, während allein die Popmusik 1999 über 35 Millionen Pfund umgesetzt hat. Obendrein haben die vier berühmtesten Söhne der Stadt ein Erbe hinterlassen, mit dessen Hilfe es für die Tourismusbranche der Stadt geradezu zwingend ist, Liverpool als die Wiege der Popmusik in Europa zu präsentieren. Auch wenn man dabei die Geschichte von John, Paul, George und Ringo gerne auf schnell goutierbare Häppchen für „Europe in 7 days“-Touristen herunterdampft – in Fragen der infrastrukturellen Hilfe für die Kreativen der Jugendkultur geht man bedeutend subtiler zu Werke. Die Stadt hat seit 1997 allein 632 Millionen Pfund strukturelle Hilfe von der EU erhalten und mit diesem Geld jenen Kreislauf durchbrochen, den Clubs wie das Eric’s in den 80ern und der Cream Club in den 90ern durchliefen. Deren Besitzer siedelten sich in den Industrieruinen der Hafenstadt an, zogen mit ihrem Erfolg eine Reihe von Bars, Agenturen, Künstler nach sich, denen schließlich die Spekulanten und das organisierte Verbrechen folgten. Allein der Cream Club musste in seiner achtjährigen Geschichte deswegen dreimal umziehen. Erst in der jüngsten Zeit sorgen sich die Städteplaner in Liverpool um das von den jungen Kreativen geschaffene Umfeld; anders als in jenen Tagen, in denen man den Cavern Club abreißen ließ und den Geburtsort der Beatles durch ein Parkhaus ersetzte.

Doch auch in Liverpool glänzt noch nicht alles so, wie es die Verantwortlichen gern hätten; der Cream Club steht etwa erneut kurz vor der Schließung, weil ein Jugendlicher dort an einer Überdosis starb. Zudem haben die Vertreter der städtischen Behörde für Tourismus, Kunst und Kulturerbe selbst erkannt, dass sie mit ihrer Arbeit bestenfalls die prominenteren Akteure der Popkultur erreichen.

Das alles soll verbessert werden, und die Stadt hat eine Strategie für den Umgang mit ihrer Kunst- und Kulturindustrie bis zum Jahr 2010 vorgelegt. Das geschieht nicht zuletzt vor dem Hintergrund der internationalen Konkurrenz der Städte. Liverpool hat bereits seine Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt für das Jahr 2008 eingereicht. So dient die Pflege der Popkultur letztlich doch wieder als Mittel der Selbstdarstellung.

BJÖRN DÖRING