Gore und Bush reklamieren den Sieg

Die Entwertung der politischen Kultur der USA durch die beiden Möchtegernpräsidenten geht weiter: Gore und Bush hauen sich gegenseitig die Bundesstaaten um die Ohren. Bush nennt Gore einen schlechten Verlierer. Gore nennt Bush einen Usurpator

aus Washington PETER TAUTFEST

Die Auseinandersetzungen um den Verlauf der US-Präsidentschaftswahlen in einem Bezirk des Bundesstaates Florida nehmen zu. Al Gores Wahlkampfleiter William Daley und sein Beauftragter Warren Christopher kündigten an, die Wahl im umstrittenen Palm Beach County vor Gericht anzufechten, weil die Stimmzettel irreführend gewesen seien. Außerdem verlangen sie in drei weiteren Wahlkreisen die erneute Auszählung aller Stimmzettel von Hand, weil etliche Stimmzettel von Computern nicht erfasst wurden oder weil Stimmzettel irrtümlich nicht gezählt worden seien.

Auch von Einschränkungen des Wahlrechts wurde berichtet. In einem Bezirk seien Studenten, in einem anderen Einwanderer aus Haiti an den Wahllokalen abgewiesen worden. Haitianer bezeichneten nach einem Bericht der New York Times die Wahl als schlimmer denn in Haiti.

In dem Maße, wie sich der Verdacht erhärtet, dass Gore nicht nur die Stimmenmehrheit in denUSA, sondern auch im Bundesstaat Florida und damit dessen entscheidende 25 Wahlmänner gewonnen haben könnte, wächst in seinem Lager der Widerstand dagegen, sich gemäß den offiziellen Zahlen geschlagen zu geben. Während also die Entscheidung darüber, wer der nächste Präsident wird, auf sich warten lässt, gerät die Auseinandersetzung über die Stimmenzählung zur Fortsetzung des Wahlkampfs mit anderen Mitteln. Aus dem Kampf um Stimmen ist einer ums Image geworden.

Das Bush-Lager versucht den Eindruck zu verbreiten, ihr Mann sei der gewählte Präsident. Bush erklärte bereits, dass Colin Powell sein neuer Außenminister werden würde und Andrew Carr, der Manager des Parteitages der Republikaner, Stabschef im Weißen Haus. Gore wird als schlechter Verlierer hingestellt, der den Wahlausgang nicht akzeptieren kann: „Unser demokratischer Prozess sieht Wahlen am Wahltag vor, nicht ständig wiederholte Wahlen, bis das Ergebnis einer Seite gefällt“, heißt es vonseiten der Republikaner. Gores Lager hingegen versucht, Bush als Usurpator erscheinen zu lassen, der sich selbst zu krönen versucht, noch bevor die Auszählung der Wahl abgeschlossen ist.

Carl Rowe, der Wahlkampfleiter Bushs, kündigte an, dass auch in anderen Staaten, in denen Gore nur knapp führt, Wahlzettel möglicherweise neu ausgezählt werden müssten. Dazu gehören Iowa, wo Gore mit 4.949 Stimmen führt, und New Mexico, wo Gore 6.825 Stimmen vor Bush liegt, aber wegen eines Computerfehlers 65.000 Wahlzettel nicht erfasst wurden. In der Endauszählung könnte Bush also durchaus die Mehrheit der Stimmen im ganzen Land bekommen, erklärte Rowe.

Zu den Staaten mit knappem Wahlausgang zählt auch Oregon, wo es keine Wahllokale gibt, sondern nur eine Briefwahl und die Wahlbeteiligung mit 80 Prozent viel höher war als anderswo. Beim gegenwärtigen Stand der Auszählung führt Gore ganz knapp mit 47,43 Prozent der Stimmen vor Bush mit 47,27. Das Endergebnis für Oregon wird erst für den 7. Dezember erwartet. Liegt die Differenz unter 0,5 Prozent, muss neu ausgezählt werden.

Das Wahlergebnis könnte also über Wochen die US-Gerichte beschäftigen, und am Ende müssten Richter entscheiden, wer gewonnen hat. Ein „Komitee besorgter Bürger“, dem Toni Morrison, Arthur Miller, Bianca Jagger und Paul Newman angehören, hat in einer ganzseitigen Anzeige die Schaffung eines nationalen Wahlkomitees unter Beteiligung des Kongresses und des Obersten Gerichts gefordert, um den Wahlausgang zu entscheiden.