Buhlen um die Gunst der Geister

Zum Loy-Krathong-Fest in der heutigen Vollmondnacht verwandelt sich Thailand in ein einzigartiges Lichtermeer. Blumenschiffchen, so genannte Krathongs, sollen nach alter Glaubensvorstellung die Wassergeister gnädig stimmen

Die Geister sindnicht anspruchsvoll.Sie fordern Respektund Höflichkeit.Auch Touristen undHotels in Pattayaentdecken denReiz des FestesWasser ist fürdie Thai dassymbolträchtige Element

von VOLKER KLINKMÜLLER

Es ist die erste Vollmondnacht nach der Regenzeit – und was sich hier in diesen Stunden abspielt, scheint nicht von dieser Welt: Wie aus einem Märchenbuch entsprungen, tauchen immer mehr prinzessinnengleiche Schönheiten in knöchellangen, glamourösen Festgewändern aus der Dunkelheit auf. Anmutig und in stiller Andacht knien sie auf dem Holzsteg nieder, bevor sie ihre Krathongs behutsam auf das Wasser setzen und mit einem sanften Stoß davonschieben. Beladen mit kleinen Opfergaben, treiben die aus Bananenblättern und Blumen gebastelten Schiffchen, so genannte Krathongs, den anderen entgegen, die sich weiter draußen bereits zu einer gewaltigen Armada vereinigt haben. Das Flackern der aufgesteckten Kerzen verzaubert den See in ein einzigartiges Lichtermeer – überlagert vom süßlichen Duft glimmender Räucherstäbchen. Tatsächlich ist dieses aufwendige Spektakel eigentlich für eine ganz andere Welt gedacht: Es soll den Göttern und Geistern des Wassers huldigen.

Nach jahrhundertealter Tradition müssen die Götter einmal im Jahr mit einem großen Fest geehrt und für das, was der Mensch den Gewässern täglich antut, um Verzeihung gebeten werden. „Die Schiffchen sollen aber auch alle begangenen Sünden davontragen. Bei dieser Gelegenheit kann es natürlich nicht schaden, gleich um ein bisschen Glück für die Zukunft zu bitten“, erklärt Daranee, die mit ihrer Freundin Kallayah an das Ufer gekommen ist und zwei besonders hübsche Krathongs zu Wasser lässt. Die beiden Studentinnen aus Bangkok haben eine anstrengende nächtliche Busfahrt auf sich genommen, um diesen Tag in der vertrauten Heimat verbringen zu können. Zwar verfügt Thailand über eine ausgesprochen stattliche Anzahl traditioneller Feierlichkeiten, aber das Lichterfest „Loy Krathong“ – indirekt übersetzt heißt es in etwa: „Körbchen schwimmen lassen“ – liegt den Einheimischen besonders am Herzen. Auch immer mehr Touristen entdecken den Reiz dieses stimmungsvollen Festes, das das durch Wirtschaftsboom, Sextourismus und Umweltzerstörung verfremdete Image Thailands durchaus wieder etwas zurechtzurücken vermag.

Meist fällt Loy Krathong in den Monat November. Das exakte Datum richtet sich jedoch nach dem buddhistischen Kalender, dessen Zeitrechnung auf dem Mondzyklus basiert. So kann es passieren, dass die Termine von einem auf das andere Jahr um bis zu 29 Tage auseinander liegen.

Am heutigen Sonnabend wird das Lichterfest einmal mehr das Ende der Regenzeit markieren. Denn von alters her ließen die Monsunschauer zwischen Juli und Oktober die Flüsse zu schmutzig grauen, gewaltigen Strömen anschwellen. Diese Zeit brachte zwar fruchtbares Schwemmland, aber auch allerlei Verwüstungen mit sich. Erst wenn sich die Lage wieder beruhigt hatte, konnten sich die Menschen wieder in Muße irgendwelchen Zeremonien widmen.

Dass die wichtigsten Feste des Landes – wie Loy Krathong, aber zum Beispiel auch das thailändische Neujahrsfest Songkran im April – eng mit dem Wasser verknüpft sind, hat seinen guten Grund. Denn für die Thai ist es nicht nur ein lebenswichtiges, sondern auch ein überaus symbolträchtiges Element. Von der Wiege bis zur Bahre stand das Wasser schon immer im Mittelpunkt ihres Lebens: Zahlreiche Seen, Flüsse und Kanäle machen Thailand zu einem der fruchtbarsten Reisanbaugebiete Asiens und liefern zugleich den Fisch als zweites Grundnahrungsmittel. Darüber hinaus ist die Entdeckung, Besiedlung und Lebensweise des Landes eng mit dem Hauptstrom Chao Phraya verbunden. Und früher bewegte sich ganz Bangkok ausschließlich auf dem Wasser fort, führten die Bewohner der Stadt ein regelrechtes Amphibiendasein. Da erscheint es mehr als notwendig, den Mächten des Wassers – werden diesen doch auch jeden Tag Abfälle und Abwässer zugemutet – einmal jährlich mit einem Krathong, festlicher Kleidung und fröhlichem Beisammensein zu huldigen.

In seinen Ursprüngen ist Loy Krathong allerdings kein buddhistisches Fest, sondern eher ein alter Brauch, der sowohl auf brahmanischen als auch animistischen Einstellungen beruht. Neben den Wassergeistern soll damit vor allem die Wassergöttin Mae Khongka geehrt werden. Gern erzählt wird aber auch die Geschichte von einer Prinzessin, die ihrem Geliebten Abend für Abend kleine Schiffchen mit brennenden Kerzen über den Chao Phraya geschickt haben soll. Nach einer anderen Legende sind die Wurzeln des Lichterfestes im alten Reich von Sukothai zu suchen. Es heißt, Nang Nobhama, eine Hofdame im Palast des Reichsgründers Ramkhamhaeng, habe die ersten Krathongs schwimmen lassen. Der König soll davon so begeistert gewesen sein, dass er sie zur Frau nahm und die Vollmondnacht des zwölften Mondmonats vor rund 700 Jahren zum buddhistischen Feiertag erklärte.

Aus den einfachen Blätterschiffchen der Anfangszeit sind heute wahre Kunstwerke geworden. Schon am frühen Morgen waren Daranee und Kallayah losgezogen, um die richtigen Materialien zum Bau ihrer Krathongs zu besorgen. Daheim formten sie dann die sorgsam ausgewählten Bananenblätter zu einer Art Lotosblüte, indem sie die Ränder rundherum nach oben bogen und mit Bambussplittern rings an einer kreisrunden Bananenbaumscheibe feststeckten.

Vielerorts wirken sich allerdings moderne Einflüsse auf die traditionelle Bauweise aus. So erfreut sich beispielsweise das einfache Zusammenheften mit Klammern zunehmender Beliebtheit. Bedauerlicher aber ist, dass das schnelle Wachstum der Städte und die voranschreitende Kommerzialisierung mancherorts zur Massenproduktion der rituellen Schiffchen geführt haben. Sie werden unter Verwendung von Fertigprodukten aus Styropor oder Plastik hergestellt und belasten schließlich Thailands ohnehin nicht gerade schadstoffarmen Gewässer über Monate hinaus mit zusätzlichem Müll.

Die umweltfreundliche Idee, Krathongs aus Brotteig zu produzieren, ist leider – zumindest bei fischarmen Gewässern – gescheitert. Denn beim Zersetzungsprozess entzogen sie dem Wasser zu viel Sauerstoff. Weitaus tragischer ist allerdings, dass Bangkoks neues Stadtoberhaupt Samak Sundaravej vor zwei Wochen überraschend wieder Styroporschiffchen favorisierte – und damit alle Umweltschutzbemühungen der letzten Jahre untergräbt. „Schaumstoff ist leicht und sinkt nicht“, argumentierte er allen Ernstes. „Das macht es für unsere Reinigungskräfte leichter, das Zeug am nächsten Morgen einzusammeln.“

Die thailändische Umweltorganisation Magic Eyes kritisierte die Äußerungen als Signal in die falsche Richtung, und Srisuwan Chanya von der „Environment Protection Foundation“ verwies auf die gefährlichen Gifte, die beim Verbrennen von Plastik entstehen, die Abwehrkräfte der Menschen schwächen und Atemwegsprobleme verursachen würden. Dem steht gewiss Samaks Vorschlag entgegen, die Plastikkrathongs nach dem Fest als Unterfüllung für den Straßenbau zu recyceln – was (zumindest) einen Leserbriefschreiber der Bangkok Post dazu veranlasste, sich über die Stabilität des bereits vorhandenen thailändischen Straßensystems lustig zu machen . . .

Doch bei Loy Krathong geht es nicht allein um Bananenblätter oder Plastik: Reichere Mitbürger wollen sich gelegentlich durch Verzierungen mit Blattgold oder besonders große Krathongs von der Masse abheben – und irgendwo erscheint das ja vielleicht auch ganz sinnvoll, denn mit diesen größeren Schiffchen müssen mitunter sicher auch schlimmere Sünden entsorgt werden.

Daranee und Kallayah begnügten sich jedoch damit, das Innere ihrer Krathongs mit hübschen Blumen auszuschmücken, eine Kerze und drei Räucherstäbchen dazuzustecken sowie als Opfergaben ein paar Reiskörner und kleine Geldstücke hineinzulegen. Denn die „Phii“ (Geister) gelten nicht als anspruchsvoll, vielmehr ist es nach Auffassung der Thai wichtig, ihnen voller Respekt, mit Freundlichkeit und Höflichkeit zu begegnen.

Als die beiden Mädchen fertig waren, besuchten sie ihre Nachbarn und Freundinnen, um deren Bastelarbeiten zu bestaunen. Und bevor sie sich dann in einer zweistündigen Prozedur kunstvoll ihre schwarze Haarpracht drapieren ließen, gingen sie noch schnell in den nahe liegenden Tempel, um die Schiffchen von einem Mönch feierlich weihen zu lassen. Hier herrschte bereits tagsüber Hochbetrieb.

Im legendären Sukothai, wo Loy Krathong einst seinen Ursprung gehabt haben soll und besonders stimmungsvoll begangen wird, gehören eine Licht- und Tonschau sowie ein Konzert und Volkstanz zum Programm. Die zahlreichen Wassergräben zwischen den Ruinen, Tempelanlagen und Buddhastatuen bieten sich dafür als Freilichtbühne an. Ähnliches gilt natürlich auch für die zweite ehemalige Hauptstadt, Ayutthaya, mit ihren ausgedehnten Wasserflächen. Hier werden auf dem Chao Phraya gleichzeitig die thailändischen Langboot-Meisterschaften ausgetragen. In Chiang Mai indes sind es die vier, jeweils 1,6 Kilometer langen Stadtgräben, die die historische Altstadt umschließen und das Fest zu einem außergewöhnlichen Erlebnis werden lassen. Gleichzeitig findet das Yi-Peng-Festival statt, bei dem riesige Heißluftballons im Lanna-Stil – mit derartigen Flugobjekten sollen Thai vor vielen Jahrhunderten ihren Feinden entkommen sein – in den Himmel steigen und auch die begangenen Sünden in diese Richtung entschwinden lassen.

In Bangkok dagegen konzentriert sich das Geschehen auf die lang gestreckten Ufer des Chao Phraya, dessen Strömung die Krathongs relativ schnell davonträgt – aber auch auf die restlichen der einst zahlreichen Klongs (Kanäle), die noch die Stadt durchziehen. Erstmals seit längerer Zeit wurden für das heutige Lichterfest auch der Lumpini-Park und dreizehn weitere öffentliche Grünanlagen der Hauptstadt freigegeben, wo die Gläubigen sich für die Feierlichkeiten zurückziehen können und zumeist Feuerwerksverbot herrscht.

Denn Loy Krathong lässt sich leider längst nicht mehr allerorts als besinnliches Fest genießen: In den vergangenen Jahren ist es – vor allem bei Einheimischen, aber auch bei Touristen – immer mehr zur Unsitte geworden, mit Raketen, Knallfröschen und Böllern um sich zu schießen. Hörsturz und Wunden sind keine seltenen Folgen: Im vergangenen Jahr gab es landesweit Tote und Hunderte Verletzte durch den rücksichtslosen Abschuss von Feuerwerkskörpern! Da könnte es für dieses Jahr glattweg als schlechtes Omen gedeutet werden, dass in Chiang Rai am 22. Oktober eine Feuerwerksfabrik – verursacht offensichtlich durch den Produktionsstress anlässlich von Loy Krathong – in die Luft geflogen ist (zwei Tote, fünf Schwerverletzte und siebenundfünfzig beschädigte Häuser). Aber immerhin haben die Behörden den Verkauf besonders gefährlicher Kracher dieses Mal etwas strenger kontrolliert.

Friedlich feiern lässt es sich auch in den größeren Hotels, die ihre eigenen Loy-Krathong-Feiern zu veranstalten pflegen – mit üppigen Buffets und einem bunten Begleitprogramm aus Tanzmusik, künstlerischen Darbietungen und „Miss Loy Krathong“-Wahlen. Hier begnügen sich die ausländischen Gäste mit den hoteleigenen Swimming-Pools, um ihre Schiffchen schwimmen zu lassen. In Samut Prakan dagegen soll heute Nacht der – mit 24 mal 12 Metern – größte Krathong aller Zeiten zu Wasser gelassen werden! Ein farbenprächtiger Umzug mit traditionellen Kostümen gehört in der Touristenmetropole Pattaya zum Festprogramm. Abends trifft man sich zum Beispiel im Tempel Wat Chai Mongkol, der an diesem Tag von einem betriebsamen Jahrmarkt aus Imbissbuden und Verkaufsständen umgeben ist. Unter anderem werden Fische und Schildkröten angeboten, die von den Gläubigen gegen ein geringes Entgelt „als gute Tat“ in den tempeleigenen Teich entlassen werden. Aber auch zum Meer pilgern die Menschen in Scharen, denn hier haben die Krathongs schließlich die beste Chance, möglichst weit in die Ferne hinauszutreiben.

Jeder hofft, dass sein schwimmendes Licht am längsten brennt und sichtbar bleibt. Deshalb folgen Daranees und Kallayahs Augen so lange wie möglich aufmerksam den auf dem glitzernden Wasser tanzenden Gestecken. „Nur wenn sie mit der noch brennenden Kerze außer Sichtweite geraten“, erklären die beiden Freundinnen, „können wir ganz sicher sein, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen und das nächste Jahr Glück bringen wird.“

So mancher Krathong nimmt aber nicht nur durch ungünstige Wellen oder Windböen ein vorzeitiges Ende. Vielerorts machen Wassergeister – allerdings der recht irdischen Art – Jagd auf die schwimmenden Opferschalen: Kinder, die ein abendliches Bad vortäuschen, paddeln mit gezielten Handgriffen zwischen den Krathongs herum und bringen leider auch etliche Schiffchen zum Kentern. Mangels besserer Unterbringungsmöglichkeiten stecken sie sich die dabei erbeuteten Münzen einfach in den Mund.

Andere wiederum wollen angeblich helfen, die Schiffchen in tieferes Wasser zu befördern, und plündern sie unauffällig aus, während sie sie vor sich hertreiben. Auf diese Weise können die Bälger sogar doppelt verdienen, – denn bei der Rückkehr an das Ufer lassen sie sich für ihre vermeintlichen Dienste sogar noch mit ein paar Baht bezahlen. So richtig wütend auf die Kinder scheint erstaunlicherweise niemand zu sein. Denn die Gläubigen sind zufrieden, mit ihrer Spende – egal ob für die kleinen Wassergeister des Diesseits oder des Jenseits – eine Wohltat vollbracht zu haben, die ihnen bei nächster Gelegenheit sicherlich entsprechend honoriert werden wird.