Letztes Aufbäumen Untoter

Punk kehrt zurück: Das 3001 zeigt Punk-Filme – im weitesten Sinne  ■ Von Lars Brinkmann

Früher war alles besser. Nur Punk im Kino nicht. Denn das bedeutete eineinhalb Stunden im zugigen Klick, das, je mehr Punk-assoziierte Filme es zeigte, immer mehr auf den Hund/Punk kam. Den steifen Hals und Grippeviren gab es gratis dazu. Und weil dieses kleine Kino auch noch in der Glashüttenstraße, mitten in der Kampfzone Karolinenviertel lag, gab es danach manchmal ein aktionsreiches Rahmenprogramm mit allen Schikanen. Irgendwo in den Katakomben des inzwischen aufgelösten Polizeireviers Budapesterstraße finden sich bestimmt noch ein paar an die Wand gekritzelte Kurz-Reviews der Filme, die wir sahen, bevor uns die grünen Männchen hopps nahmen. Aber das ist nun auch schon circa 20 Jahre her: Wo früher das Klick war, ist jetzt ein Mexikaner mit seltsamen Öffnungszeiten, und Punk riecht ja nun auch schon seit längerem recht merkwürdig (höchste Zeit, den Hausmeister zu rufen) ...

November 2000: Das Kino hat sich geändert, die Kampfzone hat sich ins Schanzenviertel verlagert, aber ein Film ist geblieben: Punk in London. Wenn ich nicht irre, war das der Abschlussfilm von dem Absolventen irgendeiner Filmhochschule. Regisseur Wolfgang Büld wird am Eröffnungsabend zugegen sein und sich „bei einem (oder zwei) Bierchen“ dem Gespräch stellen. Sehenswert ist dieses Dokument – in der Hochphase '77 in der Punk-Hochburg gedreht – für Nostalgiker wie für Nachgewachsene. Denn eine vergleichbare Dokumentation gibt es nicht, viele Gruppen wie die legendären Lurkers und X-Ray Spex zeigen sich hier exklusiv, abgerundet wird das ganze durch Interviews mit Club-Machern und anderen Aktivisten. Während die Alten auf die berühmte Szene warten, in der sich während eines Interviews plötzlich ein weißer Arsch von der Seite ins Bild schiebt, bleibt den Jüngeren nur atemloses Staunen.

Drei Filme zeigt das 3001 als Hamburg-Premiere: zunächst den Dokumentarfilm Born To Lose über das kurze Leben und lange Sterben von Johnny Thunders, der damals erst mit den New York Dolls und später mit den Heartbreakers dem Punk-Rock ein amerikanisches Gesicht gab. Neben Richard „Blank Generation“ Hell dürfte Thunders die damalige amerikanische Loser-Ikone sein. Der Punk-Chronist Lech Kowalski begann bereits 1981, Material für diesen Film zu sammeln – bei den Dreharbeiten zu seiner Dokumentation der letzten Sex Pistols-Tour, D.O.A. Dead On Arrival – The Sex Pistols, die ebenfalls zu sehen sein wird.

Eine weitere Erstaufführung ist der Film mit dem vielversprechenden Titel Wild Zero, eine Hommage an die japanischen Extrem-Rock'n'Roller Guitar Wolf. Regisseur Tetsuro Takeuchi erlitt während der Dreharbeiten einen Nervenzusammenbruch – das Ergebnis ist nach seinen Worten „mehr B-Movie als jedes andere B-Movie, den man sich vorstellen kann.“ Anlässlich dieser kleinen Trash-Preziose holen Kritiker schon mal Baudrillard hervor und gebären Begrifflichkeiten wie die „TransRock-Ästhetik der Banalität“. Auf der bloßen Oberfläche handelt Wild Zero von Neo-Greasern und außerirdischen Zombies, von Sex & Drugs & Rock'n'Roll & Splatter. Vorzugsweise in einer Bande guter Freunde zu genießen, auch gern mit etwas mehr Alkohol im Alkohol.

Die letzte Premiere wiederum schreit nach der Original „Punker-Droge“ Speed: Der Video-Jockey und –Regisseur Philip Virus mixt Clips des Labels Digital Hardcore Recordings. Hier feiert(e) Punk fröhliche Auferstehung. Maschinen ersparen das Erlernen der berühmten drei Akkorde; beschleunigte Breakbeats ersetzen den schnellen und genauen Schlagzeuger, den immer alle haben wollten; billigste Computer können den Job von Schere, Kleber und Kopierer gleich mit erledigen. Die DHR-Videos transzendieren die Rauheit der Punk-Ästhetik, das collagenartige und den situationistischen Witz, in einen Pixel-Sturm schmutziger Tricks und billiger Effekthascherei. Handkamera, geklaute Bilder und Teenage Angst – immer eine gute Mischung.

Der Kreis schließt sich, wenn Atari Teenage Riot mit „(If The) Kids Are United“ den alten Hit von Sham 69 covern; oder wenn Mittelklasse-Kid Alec Empire im wenige Jahre vor dem Blair Witch Project enstandenen Video die Untoten flackern lässt und dabei mit bestem Slogan-Englisch behauptet: „We all die“. Im Rahmenprogramm: Cop Killer mit Johnny Rotten als verhaltensauffälligem Gegenüber von Harvey Keitel; Hated – G.G. Allin and the Murder Junkies mit dem härtesten Scum Rocker aller Zeiten (Achtung! Body Fluid-Splatter!); Hard Core Logo mit der fiktiven Punk-Band gleichen Namens; Rude Boy mit The Clash; sowie aus unerklärlichen Gründen Hype, mit Grunge und der anderen, jüngsten amerikanischen Loser-Ikone.

Punk in London: Do (mit Opening Party) + Mo; Hard Core Logo (OmU): Sa + Di; Digital Hardcore: So; Hype! (OmU): Mi; Born to Lose (OF): Do, 16.11.; Wild Zero (OmU): Fr, 17.11.; Double Feature D.O.A. (OmU) + Cop Killer: Sa, 18.11.; D.O.A. (OmU): Mo, 20.11.; Cop Killer: Di, 21.11.; Rude Boy (OF): So, 19.11.; Hated – G.G. Allin (OmU): Mi, 22.11.; jeweils 22.30 Uhr, 3001