schwarze taz
: Wandlungen des Clubbing-Literaten Nicholas Blincoe

1981 oh yeah ...

Von den zahllosen schwulen Krimiautoren, deren Produkte derzeit hoch im Kurs stehen, ist der Brite Nicholas Blincoe vielleicht der bemerkenswerteste. Blincoe schreibt nicht fürs Getto, seine Geschichten erzählen von den Abgründen der schwulen Szene in Manchester und London und sind frei von Idealisierungen und Sentimentalitäten. Darüber hinaus sind sie sogar heterokompatibel, weil sie die ästhetischen Wirrungen der Post-Punk- bis Clubbing-Szene der 80er- und 90er-Jahre kritisch rekapitulieren.

Drei Romane des blondierten Dandys aus Manchester sind bisher auf Deutsch erschienen. Der erste heißt „Acid Killers“ und erzählt von einer transsexuellen Auftragskillerin, die sich in Miami von Paul in Estela verwandelte und nach zwölf Jahren ins heimische Manchester zurückkehrt. Im dortigen Nachtleben schmiert sie ab, lässt sich ihre Pistole sowie die Hormonpillen von einem One-Night-Stand namens Yen klauen und gerät so richtig in die Bredouille, nachdem dieser drogengeschädigte Wirrkopf umgebracht wird.

Es muss nicht immer Manchester sein, aber Drogen und Nachtleben kommen immer in Blincoes Romanen vor: „Speed Boys“ spielt in einem Szenerestaurant im Londoner Stadtteil Soho, wo noch vor der Eröffnung eine unschön verbrannte Leiche auf dem Gasherd auftaucht. Das bringt Chefkoch Hogie und seinen Oberkellner Cheb in arge Schwierigkeiten. Beide sind ohnehin schon ständig auf Speed, weshalb ihnen so allerhand entgleitet, und dann kommt noch hinzu, dass das Lokal eigentlich einem Gangsterboss als Geldwaschanlage dienen soll. Da ist das spurlose Beseitigen der Leiche nur ein Problem unter vielen.

Nach diesem irrwitzigen Ausflug ins Londoner Nachtleben hat sich Blincoe mit seinem zuletzt erschienenen Roman „Manchester Slingback“ wieder drangemacht, die schwule Szene seiner Heimatstadt zu erkunden. Diesmal geht es nicht so sehr um die Gegenwart, sondern um das, was einst war, und das bedeutet in diesem Fall: „1981 oh yeah ...“ Hauptfigur ist der bisexuelle Londoner Kasinomanager Jake Powell, der mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert wird, als eines Tages der schmierige Detective Inspector Davey Green vor ihm steht, dem er damals als Spitzel zugearbeitet hat. Green holt Jake zurück nach Manchester, weil er ihm dabei helfen soll, den Mord an einem ehemaligen Strichjungen aufzuklären. In Rückblenden erfährt der Leser einiges von Jakes unrühmlicher Vergangenheit: Nicht dass er mit Drogen dealte, war wohl damals das Problem, sondern sein perverser Drang, Freunde zu belügen und zu betrügen. Natürlich führt die Spur des aktuellen Mordes weit in die Vergangenheit, in ebenjenes Jahr 1981, in dem Jakes bester Freund Johnny umgebracht wurde, und schließlich geht es auch um so einen traurigen Tatbestand wie Kinderpornografie.

Mit „Manchester Slingback“ ist Blincoe zwar dem Milieu der Durchgeknallten treu geblieben, in all das Schrille mischt sich ein deutlicher Anteil Melancholie. Konnte man seine ersten beiden Bücher wegen ihres grellen Humors noch als „Pulp Fiction“ abtun, geht es hier doch um mehr: Blincoes erklärte Vorbilder sind ja nicht irgendwelche Trendartisten, sondern die Väter des Brit-Noir, Ted Lewis und Derek Raymond. Deren Bücher über gescheiterte Gangster und kaputte Polizisten gehören zum Finstersten, was je auf der britischen Insel geschrieben wurde. Es könnte also durchaus sein, dass Blincoe, wenn er seine Vergangenheit als Speed Freak abgearbeitet hat, erst so richtig loslegt. Zutrauen darf man ihm das.

ROBERT BRACK

Nicholas Blincoe: „Manchester Slingback“, dtv, 237 Seiten, 17,50 DM; „Speed Boys“, dtv, 287 Seiten, 16,90 DM, beide aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach; „Acid Killers“, dtv, 262 Seiten, 16,90 DM, aus dem Englischen von Michael Kleeberg