Das Pentagon plant das nächste Netz

Nerds und Neue Märkte haben der „Defence Advanced Research Projects Agency“ das Internet weggenommen. Das lassen sich die US-Militärs nicht mehr gefallen. Sie wollen die Definitionsmacht wieder haben und investieren selbst in Startups

von KONRAD LISCHKA

Früher hat Gilman Louie (www.in-q-tel.com/3_louie.htm) Computerspiele wie den Flugsimulator Falcon programmiert. 1998 dann verkaufte er seine Firma Microprose für 70 Millionen Dollar an Hasbro. Heute arbeitet er für den US-Auslandsgeheimdienst CIA. Als Präsident des CIA-Wagniskapitalgebers In-Q-Tel (www.in-q-tel.com) soll er allein in diesem Jahr etwa 58 Millionen Dollar in Sillicon-Valley-Startups investieren, deren Produkte für die CIA interessant werden könnten. Bei den geförderten Projekten fällt auf, dass sie auch für zivile Nutzung geeignet sind. Für die Entwicklung des Programms „netEraser“ etwa stellt die CIA dem Unternehmen Science Applications International Corporation (Saic) drei Millionen Dollar zur Verfügung. „netEraser“ soll die Anonymität von Internet-Nutzern garantieren, indem es die IP-Adresse ständig wechselt. Gleichzeitig soll es Internetseiten vor Denial-of-Service Attacken schützen.

Ein Geheimdienst als Garant von Sicherheit und Anonymität im Netz? Es kommt noch besser. Die Defence Advanced Research Projects Agency (www.darpa.mil) wurde 1958 vom US-Verteidigungsministerium gegründet, als die Sowjetunion ihre technische Überlegenheit mit dem Start des Sputnik-Satelliten demonstrierte. Die Aufgabe: Forschungsprojekte fördern, die so futuristisch sind, dass sie kaum auf Gelder aus der Wirtschaft hoffen können. Von dem jährlichen Budget von etwa zwei Milliarden Dollar fließt heute ein Großteil in Informationstechnologie. Unter anderem auch an das 1994 gegründete World Wide Web Consortium, das die HTML-Standards definiert. (www.w3. org/Consortium /Prospectus/DARPA.html). Jährlich etwa 30 Millionen Dollar steckt die Darpa in das Projekt Next Generation Internet (NGI), einem auf neuer Soft- und Hardware beruhendem Netzwerk, das mit einer 1.000-mal höheren Geschwindigkeit als das heutige Internet in fünf bis zehn Jahren auch für private Nutzer verfügbar sein soll (www.defenselink.mil/news/Aug2000/ n08302000_20008301.html).

Falls es die noch gibt. Die Darpa Agent Markup Language (DAML) nämlich (www.oasis-open.org/cover/ daml.html) soll in noch fernerer ferner Zukunft im Netz für künstliche Intelligenzen das werden, was Englisch heute für natürliche ist. DAML würde im Endstadium künstlichen Intelligenzen im Netz Zugriff auf den Code von Computerprogrammen, Daten von Satteliten, Sensoren und allen angeschlossenen Maschinen ermöglichen. Computer hätten die Menschen nicht mehr als Vermittler zur physischen Welt nötig.

Gerade bei diesem Projekt wird der Hintergrund der IT-Offensive von Darpa, CIA und Konsorten deutlich: Es ist der Versuch, die technische Definitionsmacht wiederzugewinnen. Das Q in In-Q-Tel erinnert ganz bewusst an den Ausstatter von James Bond. In der Zeit, als Raketen, Autos und Düsenflugzeuge Symbole der Zukunft waren, galten Geheimdienste mit ihren Martini trinkenden Mitarbeitern in dunklen Anzügen und den Wissenschaftlern in weißen Kitteln gemeinhin als technische Avantgarde. Heute sind es junge Menschen in Jeans, die Pizza essen, nächtelang in irgendwelchen Garagen vorm Computer hocken und an die Börse statt in die Wissenschaft gehen. Das war einmal anders. Das heutige Internet beruht auf einem Projekt der Darpa, dem 1969 gestarteten Arpanet (www.cbi.umn.edu/darpa/ arpanet.htm).

Das Ziel war nicht – wie immer noch oft behauptet – ein Kommunikationsnetz, das einen Atomkrieg überstehen konnte. Vielmehr ging es darum, Computer an Universitäten und Laboratorien zu verbinden, so dass Wissenschaftler die damals raren Computerressourcen teilen konnten. Welchen Einfluss von einem Geheimdienst bereitgestellte Infrastruktur hat, zeigte sich 1979: Die Wissenschaftler Einar Steffer und und Dave Farber hatten damals für strikte Selbstzensur plädiert: Nur technische Fakten von allgemeinem Interesse sollten in den Newsforen des Apranet veröffentlicht werden, um Probleme zu vermeiden.

Inzwischen hat die Wirtschaft die Wissenschaft als treibende Kraft des Internets abgelöst: Börse statt Labor. Gewandelt hat sich ebenfalls das Vorgehen der Geheimdienste: Wagniskapital statt Forschungsgelder. Und auch die Begründung für den Anspruch auf die technische Definitionsmacht ist eine andere: nicht mehr der Klassenfeind, sondern „Cyberterroristen, ein bösartiger Hacker oder selbst ein nicht feindselig gesinnter Hacker“, wie es Michael Hayden, Chef des US-Geheimdienstes NSA bei der National Information Systems Security Conference (csrc.nist.gov/nissc/welcome.htm) ausdrückte. Partnerschaften mit der Industrie müssten ausgebaut werden, um die Sicherheit der Computernetze zu stärken.

Solche Schauermärchen erinnern stark an den „missile gap“ aus den frühen 60er-Jahren. Um ihn zu überwinden, gab die Darpa Unsummen für Spionagesatelliten aus. Am Ende des Kalten Krieges stellte sich heraus, dass die Übermacht der sowjetischen Raketen immer geringer war, als die amerikanische Öffentlichkeit glauben sollte, wenn Budgetzuteilungen bevorstanden.

kl@konrad.lischka.de