Kriegsplan Colombia

In Kolumbien vermengen die USA eine kontraproduktive Antidrogenstrategie mit alten Rezepten der Aufstandsbekämpfung. Ein Plädoyer für eine mögliche Friedensinitiative

Alternative Programme gibt es, aber im Rahmen des „Drogenkrieges“ können sie nicht funktionieren

„Ich glaube, der erste Schritt zu einer realistischen Lösung des Weltdrogenproblems ist es, das Scheitern der derzeit eingesetzten Bekämpfungsmethoden anzuerkennen. Mehr als die Drogen selbst haben diese Methoden die größten Übel in den Produktions- und den Konsumentenländern verursacht, verkompliziert und verschlimmert.“ (Gabriel García Márquez)

Der Plan Colombia erhitzt weiter die Gemüter. In der vergangenen Woche trafen sich in Manaus, im brasilianischen Amazonasgebiet, die lateinamerikanischen Verteidigungsminister. Sie sollten auf den Antidrogenplan eingeschworen werden. Doch die Regierungsvertreter aus Kolumbien und den USA reisten mit leeren Händen ab. US-Staatssekretär James Bodner kündigte trotzig an, die umstrittene Antidrogenstrategie werde „mit oder ohne internationale Solidarität umgesetzt“. Mit großem propagandistischem Getöse hatte Bill Clinton Ende August im kolumbianischen Cartagena den Startschuss zum Plan Colombia gegeben. Über 80 Prozent der bisher bewilligten 1,3 Milliarden Dollar US-„Hilfe“ an den Andenstaat fließen in die Antidrogenbataillone und ihre neuen Hubschrauber. Der „Drogenkrieg“, den George Bush senior vor zehn Jahren an gleicher Stelle eingeläutet hatte, geht in eine neue Runde.

Dabei ist der repressive Ansatz zur Drogenbekämpfung ganz offensichtlich gescheitert. So wurden in den letzten Jahren Kokaflächen in Peru und Bolivien vernichtet – mit dem Ergebnis, dass sich der Anbau lediglich nach Kolumbien verlagert hat. Dort wiederum werden die Kokafelder zwar mit hochgiftigen Chemikalien besprüht – was aber nur dazu führt, dass immer weitere Teile des kolumbianischen Amazonasgebiets zum Koka-Anbau herangezogen werden. Und schließlich: Die großen Kartelle von Medellín und Cali konnten zerschlagen werden – doch an ihre Stelle traten viele kleine Händlerringe. Fantastische Gewinnspannen sorgen dafür, dass der Kokain- und Heroinexport ungebrochen floriert. Dabei werden ständig neue Märkte erschlossen.

Dennoch konzentrieren sich die militärischen Attacken weiter auf das „schwächste Glied der Kette“ – die Kleinproduzenten von Koka und Schlafmohn. Doch die werden dadurch erst recht in die Hände der 20.000 Guerilleros der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) getrieben. Seit fast 40 Jahren streben die Rebellen angeblich den Sozialismus an, doch erst massenhafte Entführungen und vor allem das Drogengeschäft haben sie zu einer schlagkräftigen Truppe anschwellen lassen. Als Gegenleistung für ihre „Revolutionssteuern“ schützen sie die Kokafelder und die Kurierflugzeuge, mit denen das Kokain ins Ausland geschafft wird.

Mit dem Plan Colombia setzen die USA auf die Verschärfung eines Jahrzehnte währenden Krieges. Bereits jetzt fordert die politische Gewalt in Kolumbien jährlich 3.000 Tote, und zwei Millionen Menschen gelten als Flüchtlinge im eigenen Land. Nach Panama und Venezuela muss sich nun auch Ecuador auf kolumbianische Vertriebene einstellen.

Und noch eine weitere Kontinuität zeigt sich: Das Treiben der Paramilitärs ist für die USA noch immer kein Thema. Diese Akteure einer veritablen „Gegenagrarreform“ räumen ganze Landstriche durch Massaker und Vertreibungen. Auch Menschenrechtler, Gewerkschafter und andere Aktivisten fallen ihrem schmutzigen Krieg zum Opfer. Dabei helfen Armee und Polizei oft nach. Finanziert werden die Todesschwadronen von Teilen der traditionellen Oligarchie, aber eben auch von der Drogenmafia. Präsident Andrés Pastrana lässt sie trotzdem gewähren, denn von den Paramilitärs hat die Guerilla noch am meisten zu befürchten. Und Clinton setzt sich „im nationalen Interesse“ über die Menschenrechtsklausel des Plan Colombia hinweg.

Hintergrund für das verstärkte Engagement der USA in Kolumbien ist die vorhandene unmittelbare Kontrolle über den Hinterhof: Die US-Streitkräfte unter der Regie des „Southern Command“ haben Zentralamerika in ihrem Sinne befriedet und den Panamakanal geräumt. Nun können sie sich ganz der instabilen Andenregion widmen: In Venezuela klopft Präsident Hugo Chávez antiimperialistische Sprüche, Ecuadors Wirtschaft kriselt nach der Dollarisierung mehr denn je, Perus Zukunft ist ungewiss, und die kolumbianische Regierung hat offenbar kein funktionierendes Rezept, um Bürgerkrieg, Wirtschaftskrise und Drogenanbau Herr zu werden. Durch den „Drogenkrieg“ legitimieren die USA ihre militärische Präsenz in der Region.

Dabei wählen sie altbekannte Mittel: Im Rahmen des Plan Colombia steigt die Zahl der US-Militärberater in Kolumbien von 500 auf 800, im vergangenen Jahr wurden neue US-Luftwaffenstützpunkte in Ecuador und auf den holländischen Karibikinseln Aruba und Curação eröffnet, ein weiterer in Zentralamerika soll folgen. Direkte militärische Eingriffe will man jedoch vermeiden – und die werden in Kolumbien auch nicht nötig sein, solange die Regierung Pastrana die Vorgaben aus Washington umsetzt. Für den unpopulären Präsidenten ist die US-Intervention die einzige Garantie, um die letzten zwei Jahre seiner Regierungszeit zu überstehen. Parallelen zum Krieg in El Salvador in den 80er-Jahren liegen auf der Hand. Thomas Pickering, Ex-Botschafter in San Salvador, ist heute Staatssekretär im Außenministerium und einer der Chefarchitekten des Plan Colombia. Bei den Nachbarn schrillen die Alarmglocken. Brasiliens Regierung reagiert allergisch auf die US-Präsenz im Amazonasbecken, besonders auf Planspiele, die Kokapflanzen mit genmanipulierten Pilzen zu besprühen. Allerdings ist den Nachbarländern noch nicht viel Konstruktives eingefallen, obwohl auch dort infolge des Rauschgifthandels Korruption und Kriminalität zunehmen. Auftrieb haben Brasiliens Militärs bekommen: Seit Jahren drängen sie auf eine stärkere Präsenz in der Amazonasregion, die nun bewilligt wurde – weil Drogenhändler, Guerilleros und Flüchtlinge nur so vom Grenzübertritt abgehalten werden könnten. Auch Europas Regierungen üben sich derweil in halbherziger Zurückhaltung. Mit den USA, noch dazu in deren Hinterhof, möchte man sich nicht anlegen. Deswegen fließen die Euros zur sozialen Abfederung des Plan Colombia, wenn auch spärlich. Bisher haben Spanien und Norwegen zusammen 120 Millionen Dollar zugesagt, ebenso viel hat die EU-Kommission angekündigt. Das ist erheblich weniger als die von Washington gewünschte Milliarde.

Eigentlich wäre es die Stunde der Diplomatie: Europäer und Lateinamerikaner müssten ihren diskreten Widerstand in eine Friedensoffensive umwandeln. Sie sollten – ähnlich wie die Sozialistische Internationale und einige lateinamerikanische Länder im Zentralamerika der 80er-Jahre – die zähen Friedensverhandlungen vorantreiben. Ein Waffenstillstand müsste dabei ganz oben auf der Tagesordnung stehen, damit die Logik der Militaristen zurückgedrängt und Freiräume für die KolumbianerInnen zwischen den Fronten geschaffen werden können. Schnelle Erfolge sind allerdings nicht zu erwarten. Denn vom Status quo profitieren zum einen die USA, Drogenmafia, Militärs und das politische Establishment, das im Krieg keine demokratische Opposition zu befürchten braucht. Zum anderen lebt auch die militärisch starke, aber politisch einfallslose Guerilla gut damit. Solidarität verdient die Zivilbevölkerung zwischen den Fronten – Kleinbauern, Schwarze, Indígenas.

Mit dem Plan Colombia setzen die USA auf die Verschärfung eines jahrzehntelang währenden Krieges

Ein Rückgang der Gewalt würde auch die Erfolgsaussichten für ein dringend notwendiges Umsteuern in der Antidrogenpolitik erhöhen. Die Legalisierung von Produktion, Handel und Konsum ist zwar derzeit illusorisch, aber es gäbe viele Punkte, an denen schrittweise Veränderungen angestrebt werden könnten. In jedem Fall müsste man sich auf den lukrativsten, von der organisierten Kriminalität beherrschten Teil des Geschäfts konzentrieren. Doch daran verdienen auch Multis, Banken und Staatshaushalte des Nordens Milliardenbeträge – über Chemikalienlieferungen, Geldwäsche und Beschlagnahmungen.

Im Umgang mit den Konsumenten in den Industrieländern hat das pragmatische Prinzip der „Schadensbegrenzung“ die rein prohibitiven Rezepte bereits zurückgedrängt. Analog dazu müsste sich auch der Umgang mit den Kleinproduzenten in den Andenländern wandeln. Die sozial und ökologisch verheerenden Besprühungen sollten eingestellt und durch manuelle Eradikationsprogramme ersetzt werden. So könnte man die Kleinbauern für Programme zur schrittweisen Substitution des Koka- und Schlafmohnanbaus gewinnen – vorausgesetzt, man verschafft ihren legalen Produkten verbesserte Absatzchancen. Solche Programme gibt es, aber im Rahmen des „Drogenkriegs“ können sie nicht funktionieren.

GERHARD DILGER