Propaganda und Politkitsch

Mit dem „Prix Europa“ werden alljährlich die besten europäischen Radio- und Fernsehprogramme ausgezeichnet. In Berlin kämpften bis Samstag Historien-Hörspiele gegen Radio-Soaps

von GABY HARTEL

Der freie Radioautor ist arbeitsmäßig ein einsamer Mensch. Meint ein Kollege vom Fernsehen, der in der Debatte „TV Doc meets Radio Doc“ gerade das Wort ergreift. Einhelliges Nicken in der Runde: keine Kamerafrau, kein Tonmann stehen ihm zur Seite. Mitleid also bei den Fernsehleuten, die ja ohnehin – auch diese Weisheit kehrt man nicht unter den Teppich – so viel mehr verdienen. Allerdings – so lautet die gute Nachricht: Mit dem Radio kommt man näher ran ans Innere des Einzelnen. Einsamkeit als Leitmotiv?

Im parallel stattfindenden Treffen „New Talent in the field of Radio Drama“ gesteht ein dänischer Autor der jüngeren Generation, gerne mit einem vertauten Team en famille zu arbeiten. Raus zu gehen aus der restriktiven Kälte des Funkhauses. Um mit beweglichen Mikros und „unsauberer“ Aufnahmetechnik Leben und Wärme in die Hörkunst zu holen, wie er sie im sterilen Studio sonst allenfalls bei Betriebsfeten erlebt. „Dogma“ heißt das nicht mehr ganz frische Zauberwort des selbstbewussten Produzenten, dessen Text/Musikfabrikationen sich dann leider wenig von den oft durchaus lebendigen Studioproduktionen unterschieden, die hier eine Woche lang zu hören waren. Und wie so oft war das Konzept schöner als das Produkt, worüber man dann mehr oder weniger taktvoll streiten konnte. Und genau so soll das sein. Der Prix Europa versteht sich (und ist es auch tatsächlich) als Kommunikationsarena der Medienmacher und -konsumenten, die einmal im Jahr ein immenses Pensum (630 Einreichungen!) an europäischen Produktionen sichten oder durchhören. Sich über Sujet und Machart erhitzen, ihre Vorurteile und Vorlieben lüften und am Ende nach einem hochkomplexen Punktesystem über den Sieger abstimmen.

Und weil Themenwahl und Ästhetik vom kulturellen Einschätzungen nicht zu trennen sind, kracht es – je nach politischer Lage – auch mal kräftig. Als beispielsweise Radio Belgrad (nach zehnjähriger Abwesenheit in diesem Jahr sehr stark vertreten) mit „Once upon a time a bridge stood . . .“ ein pathetisches Stück vorführt, das die jahrhundertelange Bevormundung der Serben anhand ihrer zerstörten Brücken symbolisieren will, dann läuft das bei uns unter „Politkitsch“. Bei einigen russischen und ungarischen Kollegen dagegen unter „Propaganda“. Einer kochte über und schleuderte dem unschuldigen Autor ein serbisches „Fuck Milošević!“ entgegen.

Das „Prinzip Kommunikationsarena“ schritt ein – in Gestalt von Peter Leonard Braun (mit Susanne Hoffmann das Managerteam des Prix Europa), und brachte die beiden sachlich ins Gespräch. So kam zumindest die (wenn auch verunglückte) Mission des Autors auf den Tisch: Brücken wollte er schlagen zwischen Völkern und Religionen. Allerdings sind die ästhetisch/inhaltlichen Grenzen elf Jahre nach der Öffnung nicht mehr nur zwischen Ost- und Westeuropa auszumachen. Die Sache ist komplexer geworden: Fällt bei den jugoslawischen Produktionen ein Rückgriff auf Mythologisch-Historisches auf, so ist das symbolische Historienstück auch in dem sonst gern rotzfrech arbeitenden Finnland beliebt („Queen C.“). Schweden arbeitet sich an Moses und Pharao ab, während Frankreich mit eine kunsthandwerkliche Annäherung an Gericaults Tod und frühes Leid als Maler präsentiert.

Fundamentale Unterschiede zwischen Ost und West lösen sich also auf. Ansonsten scheinen sich – sofern nicht nach traditionellen geistigen Werten gefahndet wird – neue Inhalte aus der nun auch nicht mehr ganz so neuen Zeit zu entwickeln. Die kroatische Produktion „Can’t escape sundays“, die georgische „An unfinished play“ etwa, stellen sich der Alltagswirklichkeit. Im Fall von „An unfinished play“ gelingt dabei zusätzlich eine akustisch anspruchsvolle Komposition. Dass Anspruch nicht zwingend identisch sein muss mit didaktischer Bevormundung (ein beliebtes Missverständnis), belegt das Preisstück „Daily Soap“ (SWR). Eine gewitzt collagierte Geschichte über den Kampf eines Hotelgasts um sein Recht auf Privatseife. Trotz komischer Leichtigkeit gelingt Autorin Antje Vowinkel ein Stück über Macht und Hilflosigkeit: Sieger bleibt die (Seifen-)spendenfreudige Direktion.