Solidarität ist lieb – und teuer

Morgen am Kiosk wird sie 50 Mark kosten. Die Solidaritätsausgabe. Ist sie das wert? Die taz ist es. Ihre Geschichte ist eine Geschichte der Solidarität

von BASCHA MIKA

Sechshundertsiebenundsiebzig Mal „Solidarität“: 677 Mal taucht der Begriff seit 1988 in den Überschriften der taz auf. 6.873 Mal in taz-Texten.

Im selben Zeitraum verwendet beispielsweise der Spiegel die Vokabel in Titeln und Untertiteln 25 Mal, 1.327 Mal in Texten. taz und Solidarität – das scheint also ein besonderes Verhältnis zu sein. Und wer genauer hinschaut, stellt fest, dass die Geschichte der taz eigentlich eine Solidaritäts-Geschichte ist.

Dabei eignet sich das Wort „Solidarität“, um sowohl das Binnenleben der Zeitung zu beschreiben als auch ihre Haltung nach außen. Und deutlich zeigt sich an der taz, dass Solidarität, so richtig und wichtig auch immer, als Heilsvokabel zur Rettung der Welt nicht taugt.

Die Spontiszene der 70er-Jahre, mit ihrem gesunden Misstrauen gegen Pathos und Parolen, hat das intuitiv begriffen. Statt: „Hoch die internationale Solidarität!“ versuchte sie es auf Demos auch mal mit dem Sprechgesang: „Hoch die internationale Kinderschokolade!“

Solidarität ist ein Gruppengefühl. Es schließt nicht nur ein – es schließt auch aus. Menschen solidarisieren sich mit anderen, weil sie die gleichen Interessen, Emotionen, Ziele und Wünsche teilen.

Das links-alternative Milieu, das seit Ende der 60er-Jahre in der Bundesrepublik entstand und die sozialen Bewegungen hervorbrachte, gründete Gruppen, um sich abzugrenzen. Es ging gegen den Rest der Gesellschaft: den Staat, seine Institutionen, die Familie, die bürgerlichen Werte. Die Protagonisten drängte es nach Autonomie und Selbstentfaltung. Gleichzeitig forderten sie vehement ihr Recht auf politische und soziale Partizipation ein.

Frauenhaus und Biobauernhof

Die allerdings sollte anders aussehen als bei den Eltern. Nicht in den Vereinen, Kirchengemeinden, Parteien wollte man sich engagieren. Es ging auch nicht um den traditionellen Gemeinsinn, den der Staat von seinen Bürgern gern einfordert und den die Nationalsozialisten so erfolgreich pervertiert hatten. Der links-alternativen Szene ging es um frei gewählte Bindungen und Solidaritäten. Daraus entstanden – vom Frauenhaus bis zum Biobauernhof – eine Vielzahl sozialer, politischer und kultureller Projekte, die ein wärmendes Gemeinschaftsgefühl vermittelten und verschiedenste Formen von Solidarität praktizierten.

Eines dieser politischen Projekte war ab 1979 die taz. Schon ihre Gründung war ein Akt reinster Solidarität. Nie wäre die Zeitung entstanden, hätten nicht viele Leute ihre Zeit und ihr Geld geopfert: einerseits um das Projekt zu entwickeln, andererseits um es mit Vorausabonnements und Spenden in die Tat umzusetzen.

Als dann die Zeitung endlich erschien, konnte ihre Existenz nur durch den täglichen solidarischen Beitrag der MitarbeiterInnen gesichert werden. Zunächst wurde fast umsonst gearbeitet, dann für einen kargen Einheitslohn. Getragen von einem tiefen Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Gleichbehandlung, war die taz nicht nur eine cheffreie Zone, sondern bot auch die Möglichkeit, sich den Arbeitsplatz selbst zu wählen und bei allen Entscheidungen mitzubestimmen. Die praktischen Probleme, die das mit sich brachte, die Nervereien und endlosen Debatten, den Terror der informellen Hierarchien, nahmen die meisten aus Solidarität gegenüber dem Gesamtprojekt billigend in Kauf.

Auch der Status von Frauen in der taz lässt sich unter Solidaritätsaspekten interpretieren. Die taz war der erste quotierte Betrieb der Republik; Gleichberechtigung war ein erklärtes Ziel des Projekts. Das war damals alles andere als selbstverständlich (ist es ja letztlich bis heute noch nicht) und verlangte den taz-Männern durchaus Solidarität mit ihren KollegInnen ab. Und immerhin lässt sich nach 21 Jahren Unternehmensgeschichte zu Gunsten der taz-Männer feststellen: Sie haben sich stets bemüht.

Geht man also davon aus, dass solidarisches Handeln immer auch mit der Bereitschaft zum Opfer, zur Einschränkung und zum Verzicht verbunden ist, lässt sich praktizierte Solidarität im Binnenklima des taz-Projekts an vielen Punkten aufzeigen – wobei man jedoch getrost behaupten kann, dass der Opferaspekt den Spaß an der Sache garantiert nicht versaute.

Betrachtet man die Außenwirkung der Zeitung, lässt sich das Thema Solidarität nur im Kontext der publizistischen Idee verstehen. Seit ihrer Gründung hat die taz den Anspruch eines kritischen, aufklärerischen Journalismus radikal ernst genommen: Selbstbestimmung und Gerechtigkeit gelten ihr als universelle Werte, und in der Berichterstattung geht es stets darum, auch die gesellschaftlichen Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen – bis dahin, dass die taz zum Einmischen und Handeln aufruft.

Folgerichtig hat sich die taz publizistisch stets für diejenigen eingesetzt, denen das Recht auf Selbstbestimmung und Gerechtigkeit abgesprochen wurde. Den Geknechteten und Entrechteten, den Erniedrigten und Beleidigten, den Mühseligen und Beladenen dieser Welt. Mit ihnen erklärt sie sich solidarisch, ihnen widmete sie viele Zeilen in der Zeitung. Und manchmal ging die taz über die emphatische Berichterstattung weit hinaus.

Spektakulär war die Spendenkampagne „Waffen für El Salvador“. Elf Jahre lang, von 1980 bis Ende 1991 sammelte die taz Geld für die salvadorianische Guerilla FMLN, bis diese einen Waffenstillstand mit der Regierung schloss. 4.737.755,10 Mark kamen dabei zusammen. Es war die finanziell erfolgreichste Solidaritätsaktion der bundesdeutschen Linken.

Aber sie war auch kräftig umstritten. Auf dem taz-Plenum, das die Kampagne diskutierte, verlor mehr als einer die Beherrschung. Verfechter der Aktion forderten die praktische Unterstützung des Befreiungskampfes in Mittelamerika, um den Mord und Terror der Militärs und Todesschwadronen zu stoppen, die in El Salvador tausende Bauern, Gewerkschafter und Oppositionelle abschlachteten. Die Gegner sprachen von Revolutionsromantik, kritikloser Unterstützung der Guerilla und vom Verrat pazifistischer Ideale.

Die Koffer voll Dollar

Die Befürworter setzten sich durch, und alle paar Monate packte ein Tazler seine Koffer voll Dollars, flog in die Region, lieferte das Geld bei einem Comandante ab und kehrte mit einer revolutionären Quittung zurück, die als Beleg brav in der Zeitung abgedruckt wurde. Ob die Unterstützung letztlich den Frieden gefördert oder zu noch mehr Blutvergießen geführt hat, ist bis heute umstritten – nicht nur in der taz.

Immer wieder hat die taz Solidaritätsaktionen gestartet. Einige Beispiele: Die Knastabo-Kampagne, die Häftlinge mit der täglichen Zeitung versorgt (seit 1979). Die Sammlung für Schulen in Bluefields/Nicaragua, die den Wiederaufbau der Gebäude nach einem Wirbelsturm finanzierte (1988-1990). Die Spendenkampagne für Tschernobyl-Opfer (1990). Oder die jüngsten Beispiele aus dem Jahre 2000: Die Beteiligung des taz-Verlages und von taz-MitarbeiterInnen am Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter. Und die Aktion Z, die für Zivilcourage wirbt und Solidarität mit den Opfern rechtsradikaler Gewalt fordert.

So selbstverständlich wie die taz in einem solidarischen Umfeld entstanden war, so selbstverständlich wurde von ihr auch Solidarität verlangt. Vor allem in den ersten zehn Jahren der Zeitung erwarteten unzählige Gruppen der alternativen Szene nicht nur, dass über ihre Anliegen Bericht erstattet wurde. Sie erwarteten vor allem, dass solidarisch geschrieben wurde – was sich wahrlich nicht immer mit journalistischen Ansprüchen vereinbaren ließ.

Wer sich enttäuscht sah, schrieb im harmlosen Fall böse Leserbriefe. Weniger harmlos wurde es, wenn morgens plötzlich zwanzig oder mehr Menschen in der Redaktion auftauchten und sie für besetzt erklärten. Das hatte in der Regel Marathondebatten, eine leergefutterte Kantine und eine mit Ach und Krach produzierte Zeitung zur Folge. Die Besetzer forderten mal die Diskussion eines missliebigen Artikels, mal den Abdruck bestimmter Erklärungen und manchmal sogar, täglich mehrere Seiten überantwortet zu bekommen. Verständlicherweise waren die tazlerInnen wenig begeistert. Die Polizei aber, da konnten die ungebetenen Gäste sicher sein, wurde nie geholt.

Heute, nach 21 Jahren taz, geht die Zeitung, wie auch ihr Umfeld, sehr viel vorsichtiger, aber auch differenzierter mit dem Thema Solidarität um. Trotzdem ist der Begriff lebendig geblieben.

Intern hat sich der Betrieb professionalisiert: Durch klarere Strukturen und ein nicht mehr ganz so karges Gehalt wie ehedem ist die Zeitung nicht mehr nur auf die Solidarität der Mitarbeitenden angewiesen. Nichtsdestotrotz könnte sich die taz auch heute ohne die sehr hohe Identifikation und das besondere Engagement der Belegschaft gar nicht auf dem Markt halten.

Und auch ein weiterer Aspekt hat sich seit der Gründung kaum verändert. Die taz lebt nach wie vor von ihren Leserinnen und Lesern, und seit Anfang der 90er-Jahre auch von den Genossinnen und Genossen. Sowohl Leser als auch Genossen zeigen sich in einem Maße solidarisch, wie man es gegenüber einer Zeitung nicht erwarten würde. Das beginnt mit dem freiwillig gezahlten erhöhten Preis für das taz-Abo und endet in Unterstützung bei allen Hilferufen, die die taz je ausgesandt hat.

Das ist etwas sehr Besonderes. Schon allein diese Erfahrung lässt niemanden in der taz auf die Idee kommen, dass das mit der Solidarität sich doch eigentlich längst erledigt hätte.