Zwischen Versprechen und echten Taten

Unter der Regierung von Präsident Abdurrahman Wahid hat Indonesiens Bevölkerung kulturelle Freiheiten und den Mut zur Mitsprache gewonnen. Dennoch würde Wahid nach einem Jahr Amtszeit heute wohl kaum wiedergewählt

BANGKOK taz ■ Als Abdurrahman Wahid am 20. Oktober 1999 überraschend an die Spitze der indonesischen Regierung kam, seufzten viele Indonesier erleichtert auf. Der unkonventionelle Muslimpolitiker erschien wie ein Geschenk des Himmels. Er würde, so hofften sie, die riesige Inselrepublik mit ihren 210 Millionen Menschen vor einem Militärputsch ebenso bewahren wie vor neuen Unruhen in Jakarta.

Diese Hoffnung hat sich erfüllt. In der einjährigen Regierungszeit von Präsident Wahid hat die Armee viel von der Macht eingebüßt, die sie unter Diktator Suharto gewonnen hatte. Auch wenn derzeit fast täglich Studenten, radikale Muslimorganisationen oder andere Gruppen auf den Straßen der indonesischen Hauptstadt demonstrieren: Der Schrecken der blutigen Krawalle vom Mai 1998, die Suharto nach 32-jähriger Herrschaft zum Rücktritt zwangen, hat sich nie wiederholt.

Diese Woche zeigte sich die große Unterstützung, die Wahid international findet. In Tokio versprachen ausländische Regierungen, Weltbank und Internationaler Währungsfonds neue Kredite und Hilfe im Wert von insgesamt 5,3 Milliarden Dollar an Indonesien.

Schon in der 18-monatigen Übergangsphase unter Wahids Vorgänger B. J. Habibie hatte das Land eine bis dahin ungekannte kulturelle Freiheit geschnuppert. Hunderte neue Zeitungen, zahlreiche Radiostationen und Theatertruppen schossen seitdem aus dem Boden. Junge, wilde Aktmaler und Punkgruppen versuchen ihre Umwelt zu provozieren und sich in den neuen, unsicheren Zeiten zu orientieren. Und das früher scheintote Parlament debattiert heute nicht nur heiß über Fragen wie die geplante Dezentralisierung der Regierungsgewalt. Es zählt auch zu den schärfsten Kritikern Wahids.

Auch mit Tabubrüchen erregte der Präsident Aufsehen. So versprach er, die großen Verbrechen der Zeit des Suharto-Regimes untersuchen zu lassen. Dazu gehören die antikommunistischen Pogrome der Sechzigerjahre, denen rund eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen. Landlose Bauern, die unter Suhartos „Neue Ordnung“ genanntem Regime massenweise von ihren Böden vertrieben worden waren, sollen 40 Prozent aller staatlichen Plantagenflächen als Ausgleich erhalten. „Wir haben uns sehr schnell von einer autokratischen Herrschaft zu einer demokratischen Gesellschaft bewegt“, sagte der Minister für die Koordination der Wirtschaft, Rizal Ramli, in dieser Woche stolz.

Dennoch würde Wahid heute wohl kaum wiedergewählt werden. Seine Erfolge werden längst überschattet von ebenso dramatischen Niederlagen und Versäumnissen. Die landlosen Bauern warten noch vergeblich auf die Verteilung des Plantagenlandes, falls sie es nicht einfach besetzt haben. Und statt mit dem verhassten System von Korruption und Vetternwirtschaft aufzuräumen, ist Wahid inzwischen selbst in Skandale verwickelt. Erst vor wenigen Tagen wurde der Masseur festgenommen, der in Wahids Namen vier Millionen Dollar aus einem staatlichen Fonds bekam.

Fraktionskämpfe im Militär, das bis heute über riesige Wirtschaftsunternehmen verfügt, lähmen ebenfalls die Reformversuche. Die religiösen Unruhen auf den Molukken, die blutigen Auseinandersetzungen in rebellischen Regionen wie Irian Jaya und Aceh sind Zeichen dafür, wie wenig die Regierung Wahid das Militär und die entfernteren Gebiete derzeit unter Kontrolle hat.JUTTA LIETSCH