Auslaufmodell Jugoslawien

Von Politik wollen die Montenegriner nichts mehr hören. Die Serben sollen sie einfach in Ruhe lassen, damit sie sich um ihr Land kümmern können

aus Podgorica ERICH RATHFELDER

Im Café wird die Musik unterbrochen. Die Menschen wollen den Nachrichten zuhören: Vojislav Koštunica, der neue Präsident Jugoslawiens, habe nach dem Gipfeltreffen in Biarritz erklärt, das Volk von Montenegro könne selbst entscheiden, wie es mit Jugoslawien weitergehen solle. Sollte es in Montenegro ein Referendum geben, sei er einverstanden. Doch auch in Serbien sollte ein Referendum abgehalten werden. Er schlage eine enge Verbindung beider Staaten vor, eine Föderation der Serben und Montenegriner.

„Koštunica akzeptiert doch nur, was ohnehin schon ist“, sagt Joko, ein 22-jähriger Student. „Wir wollen endlich unsere Ruhe haben, keine Kämpfe mehr, keine Schwierigkeiten. Wir haben unsere eigene Währung und eigene Polizei, das andere kommt schon noch.“ Der 55-jährige Milo Popović ist müde von der Politik: „Wir brauchen wieder Ruhe, wir müssen vorwärts sehen, unsere Wirtschaft entwickeln.“ Ob das im Verbund mit Serbien geht? Er zuckt die Achseln. „Serbien liegt am Boden, ist auf Industrie ausgerichtet, die Anlagen sind veraltet. Eine wirtschaftliche Erholung in Serbien würde lange dauern. Wir wollen aber jetzt schon weitergehen.“

Die Montenegriner wollen sich nach wie vor von Serbien lösen. Die ersten Äußerungen Koštunicas, in denen er die Sezession Montenegros verurteilte, waren nicht ermutigend. In den Augen der Montenegriner bestätigte sich ihre Vermutung, dass auch ein Regimewechsel nichts an den serbischen Großmachtsträumen ändere.

Der montenegrinische Schriftsteller und Milošević-Gegner Jevrem Brković ist wegen seiner kritischen Haltung zu einer Institution in Montenegro geworden. Sarkastisch zieht er über die Revolution in Belgrad her: „Das Parlament, das in Belgrad gebrannt hat, ist das Parlament von drei erfolglosen Jugoslawien. Eine folkloristische Tschetniktruppe aus der Zeit des Drazen Mihailović (Führer der Tschetnikbewegung während des II. Weltkrieges, Anm. d. Red.) hat die Macht ergriffen“, schreibt er in der Wochenzeitung Monitor. Die gleichen Leute, die noch vor wenigen Wochen das Lied „Slobo, Serbien ist mit dir“ gesungen hätten, würden ihre Überzeugungen in wenigen Tagen über Bord werfen. „Wir haben einige Milošević-Wahlen überstanden, jetzt müssen wir vorwärts gehen zu einem Referendum über die Unabhängigkeit. Ein viertes Jugoslawien wird es nicht geben.“

Der Bischof der orthodoxen Kirche in Montenegro haut in die gleiche Kerbe. Die großserbische Politik habe immer versucht, Montenegro zu vereinnahmen. Nicht nur Milošević habe die Existenz der montenegrinischen Nation und Kultur geleugnet. Die Erfahrung eines gemeinsamen Staates war für Montenegro „gefährlich, schlecht und bitter“, sagt der Kirchenfürst. Es habe in diesem Jahrhundert niemals eine gleichberechtigte Allianz zwischen Serbien und Montenegro gegeben. Deshalb unterstütze er ein Referendum über die Unabhängigkeit.

Die Parteigänger des montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanović sagen, es müssten schon starke positive Zeichen kommen, um die vorherrschende skeptische Haltung gegenüber Serbiens zu verändern: „Djukanović hat sich bei der Bevölkerung von Dubrovnik entschuldigt.“ Koštunica solle sich daran ein Beispiel nehmen und sich bei den Nationen entschuldigen, die unter den von Serbien ausgehenden militärischen Angriffen zu leiden hatten.

Die politische Führung Montenegros geht pragmatischer mit dem Thema um. Nach zwei Treffen zwischen DOS-Vertretern und der Regierung Djukanović deutete sich in der letzten Woche eine Entspannung an. „Wir haben während dieser Treffen über Prozeduren gesprochen“, sagt Dragisa Burzan, ein Befürworter der Unabhängigkeit Montenegros und sowohl Vizepremierminister als auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei. Er strebt weiterhin eine Volksabstimmung an.

In Sachen Domokratie scheint aber auch die montenegrinische Regierung noch Nachholbedarf zu haben. Eine hohe Staatsfunktionärin sagt: „Unsere Führung ist nicht so demokratisch, wie es scheint. Sie hätte in den letzten zwei Jahren mehr demokratische Reformen durchsetzen können.“ Sie begrüßt die Entwicklung in Belgrad. Von den Politikern des alten Regimes, die Montengro an den Milošević-Staat gebunden hatten, hält sie nichts. Funktionäre aus beiden politischen Lagern Montenegros seien dabei, ihre Privilegien zu sichern, und schlügen sich deshalb auf Koštunicas Seite. „Da geht es nicht um Prinzipien oder nationale Identität, da geht es um Jobs und Macht.“