„Auch traditionelle Musik kann Punk sein“

Es kommt auf den Kontext an: Aki Nawaz, Chefideologe des Nation-Labels, Frontmann der Gruppe Fun-da-mental und „Global Chaos“-Theoretiker, über Schocktherapien für das Weltmusikpublikum, freigeistigen Rock-’n’-Roll-Spirit pakistanischer Qawwali-Sänger und die Tiefe traditioneller Musik

taz: Was für Musik repräsentieren Sie mit Ihrer Band Fun-da-mental und auf Ihrem Plattenlabel Nation: Ist das Weltmusik? Asian Underground? Oder Multikulti-Punkrock?

Aki Nawaz: Ach, ich habe wirklich noch keinen passenden Ausdruck gefunden: Ich nenne sie „Global Chaos“. Jeder ist ja von so vielen Dingen beeinflusst.

In mancher Hinsicht ist meine Band Fun-da-mental absolut punkig, andererseits haben wir sehr viel Respekt für traditionelle Musik. Auf unserem Album gibt es nur zwei Tracks, die nicht punkig sind.

Als Punk auf der WOMEX – ist das denn so die richtige Umgebung für Sie?

Wir wollen das stereotype Bild von dem zerstören, was für Weltmusik gehalten wird – und wir wollen jede Regel brechen, die viele Weltmusikleute so in diesem Kontext pflegen. Ich glaube, es ist an der Zeit, etwas zu verändern. Es wäre einfach schön, wenn die WOMEX nicht so ein exklusiver Club von über 50-Jährigen bleibt (lacht) – so hat sie sich jedenfalls die letzten zwei Jahre ein bisschen angefühlt. Es gibt immer noch so elitäre Haltungen . . .

Was meinen Sie damit?

Auch traditionelle Musik kann Punk sein – es ist nur eine Frage der Perspektive. Wir müssen die traditionelle Musik viel mehr aus dem Kontext heraus begreifen, aus dem sie kommt. Qawwali etwa wird in Pakistan meist vor einem Schrein gespielt. Die Leute da sitzen nicht herum und applaudieren dann, sondern drehen frei und spacen ab in seltsame Welten, sie tanzen. Aber wenn wir zur WOMEX gehen, sitzen viele und schauen einfach ganz spießig zu.

Die Musiker freuen sich jedenfalls, wenn sie in Clubs spielen, wo junge Leute sind, die tanzen und zu ihrer Musik ausflippen. Hey, es ist globale Musik! Die jungen Leute gehen viel mehr mit, und man verliert ja nicht die musikalische Integrität dabei. Sie spielen die gleiche Musik, nur in der Atmosphäre eines Clubs, und das läuft den Leuten auch genauso gut rein. Traditionelle Musik kann gut sein, kann trendy sein, und es kann gut sein darauf abzufahren – das ist die Botschaft!

Ich habe Sie einmal mit Ihrer Band Fun-da-mental auf einem Festival in London erlebt, zusammen mit einem Bhangra-Act und einer Qawwali-Gruppe. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass die überwiegend asiatischen Zuhörer mit Fun-da-mental nicht so viel anfangen konnten. Hat Ihre Musik eine Anbindung an eine Community?

Die Leute mögen uns im Allgemeinen – nicht nur unsere politischen Ansichten, sondern auch unsere musikalische Anarchie. Wir haben vor ein paar Monaten auf einem Festival in Bradford gespielt, ein reines „Asian Thing“, mit jeder Menge Zuschauer, alte wie junge, und den meisten hat es wirklich gefallen.

In den letzten drei Jahren hat sich viel verändert. Es gibt heute viel mehr junge „Asians“, die sich für die eklektische Seite der Dinge interessieren . . . Aber trotzdem, da haben Sie Recht, ist die asiatische Einwanderer-Community in England immer noch viel konservativer als irgendjemand auf der WOMEX.

Nicht nur in England oder?

Fun-da-mental könnten auch nicht wirklich in Pakistan auftreten, um ehrlich zu sein – das würden die Leute da einfach nicht packen. Unsere Eltern sind auf eine Art einfach nicht irgendwelche Formen des Wahnsinns gewöhnt – ihr Wahnsinn existiert auf einer anderen Ebene.

Schauen Sie sich wiederum viele der Qawwali-Bands an: Nimmt man die aus einer konservativen Umgebung heraus, sind viele von ihnen eigentlich ziemlich durchgeknallte Typen. Sie sehen sich nicht als Künstler, die auftreten, sondern betrachten das Ganze eher von der spirituellen Seite . . .

Aber würden die Qawwali-Musiker jetzt losgehen und sich eine Platte von Fun-da-mental kaufen?

Yeah! Jetzt würden sie das machen! Genau das will ich ja sagen: Die Leute haben festgefahrene Vorstellungen davon, was andere sind – aber die sind eben oft einfach nicht so. Qawwali-Bands sind, wenn sie nicht gerade hierzulande auf der Bühne stehen, viel mehr Rock ’n’ Roll als viele Indie-Bands. Wir hatten ein paar Auftritte, wo das Publikum nicht völlig frei drehte – das hat der Qawwali-Band dann nicht so gefallen: Sie wollten, das die Zuschauer völlig abgehen. Sie sind viel offener, als man denkt.

Die Musik, die wir dazu beigesteuert haben, war sehr spacig, offen und respektvoll. Sie mussten keine Kompromisse in ihren musikalischen Vorstellungen eingehen – alles, was wir versucht haben, ist, ein paar Sounds hinzuzufügen, um die Musik auch für jüngere Leute interessant zu machen. Und als sie dann gemerkt haben, wie die Leute darauf reagierten, hat es ihnen auch gefallen.

In der Weltmusikszene haben traditionelle Klänge Konjunktur – aber in den Ländern, aus denen sie kommen, interessieren sich die jungen Leute aber oft nicht mehr dafür

Ich kam vor fünf Tagen gerade aus Südafrika zurück, und wir haben dort auch ein paar Mal aufgelegt. Alles, was ich gespielt habe, war ausschließlich alte südafrikanische Musik – und die Leute kamen anschließend zu mir und haben mich gefragt: Was war das für ein Song? Was hast du da gerade gespielt? Das war eure Musik, hab ich ihnen gesagt – aber sie hatten sie einfach noch nie in einem Club gehört, und sie sagten: Wow, das ist ja eigentlich klasse – wir hätten nie gedacht, dass unsere eigene Musik in einem Club funktioniert.

Warum, frage ich mich, kommt der derzeit wohl populärste DJ Südafrikas, Ready D., zu mir, während ich auflege, und will wissen, was ich da spiele? Er selbst spielt keine südafrikanische Musik – weil er denkt, den Leuten könnte es nicht gefallen. Als er ihn hörte, hat er den Sound geliebt. Doch bis heute, ein Jahr später, hat er seinen Sound nicht geändert: Er spielt immer noch ausschließlich amerikanisches HipHop -Zeug – die neuesten Platten eben, an die die meisten Leute im Land nicht rankommen. Es muss noch viel getan werden, um ein größeres kulturelles Selbstbewusstsein zu entwickeln, aber auf einer viel grundlegenderen Ebene . . .

Wie sehen Sie die aktuelle Musik in Afrika, HipHop oder Kwaito? Dahinter steckt doch eine ganze Jugendbewegung . . .

Ich rede von Musik, die Tiefe besitzt. In Südafrika sehen die jungen Kids eben nur MTV und all diese R-’n’-B-Shows. Sie kriegen keine anderen, experimentelleren und eklektizistischeren Sounds mehr mit.

Am Ende präsentieren sie sich dann selbst mit einer Musik, die nicht so tief ist, wie sie eigentlich sein sollte. Es würde keinen Sinn machen, so etwas auf der WOMEX zu präsentieren.

Welche Art von Bands würden Sie gern in Zukunft auf der WOMEX sehen?

Ich liebe fast jede Band, die ich hier jemals gesehen habe, in ihrem jeweiligen Kontext. Ich liebe sie, wie sie sind. Aber ich denke, es sollte mehr Raum für Kollaborationen und pure Energie geben – nur um verständlich zu machen, dass es eine Veränderung in der ganzen Weltmusikszene gibt, das ist augenscheinlich. Meiner Meinung nach macht man das Fusionszeug, um zu den traditionellen Sachen zurückzufinden.

Wenn man Leute sieht wie U-Cef oder auch das Eccentric Soundsystem aus Israel, die diesmal auftreten – ich denke, es ist einfach sehr wichtig, dass diese neue Art von Energie mehr in die Musikfestivals eingebracht wird.

INTERVIEW: JAY RUTLEDGE