Postkoloniales Popnetzwerk

Die Musik des frankophonen Afrika bildet einen Schwerpunkt der diesjährigen WOMEX. Aber was bedeutet Frankophonie? Das Konzept bildet eine der tragenden Säulen französischer Kulturpolitik

von BJÖRN DÖRING

Unterhält sich das französische Akkordeon samt der an ihm haftenden Chansontradition ebenso gut mit den Mandingo-Gitarren Westafrikas, wie es die Scratches von DJ Slim aus Grenoble mit den Styles von Rapper Demala F aus Abidjan tun? Im November 1999 trafen sich junge Musiker von der Elfenbeinküste, aus Ouagadougou in Burkina Faso und dem französischen Grenoble zu einem Workshop an Afrikas Westküste. Dort wollten sie ausprobieren, wie die Stile und musikalischen Welten, aus denen sie stammen, miteinander kommunizieren können. Was zunächst nur als kurzzeitiges Projekt geplant war, entwickelte sich unter dem Namen Sono de Villes zu einer Band mit Eigenleben, deren Fusion aus HipHop und Highlife, aus Reggae und Mandingo- Groove nun auch auf der WOMEX 2000 zu hören sein wird.

Was wie das jüngste Kapitel aus dem Bilderbuch der Völkerverständigung wirkt, entspringt dem Kalkül französischen Kulturpolitik. Denn es war Frankreich, das in Gestalt seiner Centres Culturel Français die Musiker eingeladen und damit die Entstehung dieser zeitgemäßen Soundfusion ermöglicht hat. Mit solchen Gesten und Aktionen rückt sich die Grande Nation als Impulsgeber gerne dezent, aber deutlich in den Mittelpunkt, wenn sie unter dem Schlagwort der „Frankophonie“ den Auftrag der Pflege und Verbreitung der französischen Sprache in aller Welt verfolgt. Wie großzügig dieser Auftrag ausgelegt wird, zeigt die Vielfalt der Künstler, die sich in diesem Jahr außerdem im WOMEX-Schwerpunkt „Frankophones Afrika“ vorstellen: Zu ihnen gehören der Ballafon-Virtuose Ballaké Sissoko aus Mali genauso wie die tunesische Sängerin Sonia M‘Barek ebenso wie die franko-maghrebinischen Popstars Sawt El Atlas.

Auf kulturpolitischer Seite präsentiert sich mit dem Conseil Francophone de la Chanson (CFC) eine regierungsunabhängige Interessenvertretung, in der Mitglieder aus über 20 Ländern vertreten sind. Ihr übergeordnet ist die Agence Intergouvernementale de la Francophonie, die auf der Berliner Messe ebenso als Förderer der französisch geprägten (Welt-)Musiklandschaft auftritt wie die Zone Franche, ein Zusammenschluss von Tournee-Agenturen, Plattenfirmen, Festival- und Medienvertretern – eine verwirrende Vielfalt der Akteure, die kaum überschaubarer wird durch die Tatsache, dass sich das in Berlin nur indirekt vertretene französische Kulturministerium ebenso als Global Player der Frankophonie versteht wie die Außenpolitik mit ihrem weltweiten Netz der Instituts Français, den auf Musikexport spezialisierten Bureaux de la Musique und der Association Francaise D’Action Artistique (AFAA).

Die Frankophonie ist dabei keineswegs nur eines von vielen politischen Instrumenten – gemeinsam mit der Finanzgemeinschaft Communauté Financière Africaine (CFA) bildet sie sogar die wichtigste Säule in den Beziehungen Frankreichs zu seinen einstigen Kolonien. Dass Afrika dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, zeigt die Entwicklungshilfe, von der mehr als 80 Prozent dorthin fließen. Im kulturellen Bereich ist dieser Schwerpunkt zur Zeit in dem Programm „Afrique en Créations“ abgebildet, das im Herbst 2000 mit einem Kulturfestival in Lille vorgestellt wird.

Auch in Deutschland sind die Ergebnisse dieser Förderpolitik spürbar, da es den frankophonen Künstlern dank Zuschüssen bei den Reise- und Produktionskosten deutlich erleichtert wird, im Ausland Konzerte zu geben und dort Platten zu veröffentlichen. Dabei ist es durchaus üblich, dass selbst Stars wie Khaled, Takfarinas oder Youssou N‘Dour in den Genuss solcher Unterstützungen kommen. Doch was als bemerkenswerte Aufgeschlossenheit im Umgang mit Weltmusik beim Musikfan ankommt, deuten Kritiker als Teil französischen Hegemoniestrebens, bei dem sich Frankreich eben auch der Popkultur bedient.

Die Strategie geht zurück auf Jack Lang, der unter Mitterrand 1981 das Amt des Kulturministers übernahm und mit seinem Konzept des „tout culturel“ den zuvor recht elitären Kulturbegriff bis zur Popkultur ausdehnte. Verbunden mit dieser Öffnung war zugleich eine Frontstellung zur dominanten anglo-amerikanischen Kultur, der man unter anderem mit der Einführung einer Radioquote Konkurrenz machen wollte. So wurde auf durchaus autoritäre Art sichergestellt, dass frankophone Produktionen angemessen oft im Radio laufen. Als Alternativ-modell zum Pop made in USA und UK passt auch die multikulturelle Musik französischer Prägung wunderbar in diese Politik. Doch zeigt das künstlerische Programm der WOMEX, dass Frankreich durchaus den Mut und das Fingerspitzengefühl aufbringt, sich den Widersprüchen und brisanten Aspekten der Frankophonie zu stellen. So thematisiert der Songwriter und Poet El Hadj N‘Diaye die massiven sozialen Probleme, die in seiner senegalesischen Heimat als Folge von Modernisierung und Urbanisierung aufgekommen sind. Für ihn ist der Senegal kaum mehr als der Spielball multinationaler Geldgeber, der UNO wirft er in drastischen Worten Versagen vor.

Während sich N‘Diayes Blick auf Afrika konzentriert, sehen sich Sawt El Atlas einer ganz anderen Herausforderung gegenüber: Als Kinder marokkanischer Einwanderer besitzen sie zwar die französische Staatsbürgerschaft, werden aber in Frankreich als Maghrebiner angesehen. Gehen sie dagegen in Marokko auf Tournee, sehen die Jugendlichen dort in ihnen nur die Franzosen. Diesen Zwiespalt überbrücken Sawt El Atlas mit ihrer Musik: Die Rhythmen und Skalen der arabischen Musik finden sich in einem Sound wieder, der in bombastischsten Momenten die „internationalen“ Popstandards beinahe übererfüllt.

Nach dem letztjährigen Schwerpunkt Brasilien hat sich die WOMEX mit der Musik des frankophonen Afrikas wieder einen spannenden, weil kontroversen Fokus für das Jahr 2000 ausgewählt – der hoffentlich nicht nur als Jubelprojekt wahrgenommen, sondern in seiner Vielfalt diskutiert werden kann.

Der Autor hat 1999 das Projekt „Quartiers Français“ im Rahmen der Fête de la Musique initiiert.