Völker, Lieder, Tänze

Kaum noch weiße Flecken auf der öffentlich-rechtlichen Radio-Landkarte: Weltmusik hat sich, regional durchaus unterschiedlich, seine Sendeplätze erobert – im Süden weniger, im Norden mehr

Natürlich gibt es noch Desiderate: Im Privatradio läuft so gut wie nichts, was sich als Weltmusik bezeichnen ließe. Doch auf der Landkarte des öffentlich-rechtlichen Radios finden sich kaum noch weiße Flecken. Allerdings lässt sich ein gewisses regionales Ungleichgewicht ausmachen.

Stellvertretend für den Süden, wird immer wieder gern der Bayerische Rundfunk als Beispiel zitiert. Viel ist es tatsächlich nicht, was dort an globalen Beats zu hören ist: Die einzige Sendung, in der zur Zeit aussschließlich Weltmusik zu hören ist, läuft montagabends auf Radio 2, heißt „Musik der Regionen“ und hat gerade mal eine halbe Stunde. Manchmal fällt sie aber auch kürzer aus – wenn das vorangegangene Hörspiel wieder einmal länger dauert. Zu diesem Angebot gesellt sich alle zwei Wochen am Samstag morgen zwischen 7:20 bis 8:00 eine Sendung für ausgesprochen traditionelle Musik, die den schönen Titel „Völker, Lieder, Tänze“ trägt und im wöchentlichen Wechsel mit „Aus alten Notenbüchern“ ausgestrahlt wird. Die Sendung „In 50 Minuten um die Welt“, die bis vor kurzem im täglichen Zündfunk-Jugendprogramm lief, wurde unlängst ersatzlos aus dem Programm genommen, weil, wie man meinte, „diese Musik Jugendliche nicht mehr interessiere“. Nun laufen nur noch vereinzelt Beiträge, die sich Themen wie Brasil Breakbeats, Goa Trance oder algerischem HipHop widmen.

Bei anderen ARD-Anstalten sieht es allerdings wenig besser aus. Insgesamt führt Weltmusik immer noch ein Schattendasein im Äther. Meist ist es der Initiative von Einzelkämpfern zu verdanken, dass Sendeplätze entstanden sind und weiterhin erhalten bleiben. Der MDR-Kultur sendet eine Stunde pro Woche Bordunmusik und zweimal wöchentlich eine halbe Stunde Weltmusik, auch hier als Manövriermasse nach dem Hörspiel. Dazu kommt auf MDR-Sputnik die Sendung „Makossa“, die über UKW allerdings nur im Raum Halle zu empfangen ist. Der Hessische Rundfunk räumt der globalen Sache mit „musica mundi“, „Musik grenzenlos“ und gelegentlich in der Sendung „crossover“ auf HR2 noch verhältnismäßig viel Platz ein.

Auch beim SFB in Berlin hatte man früher mit Vorbehalten zu ringen, wollte man Weltmusik unterbringen – zuletzt gab es mit den beiden Magazinen „Dschungelfieber“ und „Globus à gogo“ gerade mal zwei Stunden im Programm. Doch seit Radio Multikulti auf Sendung ist, herrschen hier fast paradiesische Zustände.

Der Anstoß, der zur Gründung des Extrasenders führte, war ein politischer: Den Ausschlag gaben die rassistischen Übergriffe in Hoyerswerda und Rostock, die eine öffentliche Reaktion herausforderten. Damals stellte der SFB die Weichen für sein mehrsprachiges und multikulturelles Vollprogramm.

Heute, sechs Jahre später, kommen Journalistengruppen aus allen Ländern der Erde in die Berliner Masurenallee, um von den Erfahrungen des Senders zu lernen, erzählt Multikulti-Musikredakteur Tobias Maier. Der weltweit einmalige Sender ist inzwischen zur Anlaufstelle für die unterschiedlichsten Anfragen geworden: Festivalveranstalter, Interessenverbände und Journalisten holen sich bei Radio MultiKulti Informationen ein, lassen sich Bands empfehlen oder Kontakte mit Experten vermitteln.

Ein weit gespanntes Netzwerk ist um den kleinen Sender entstanden, der bei seinem Publikum mit Übertragungen aus der ganzen Welt punkten kann. Täglich ab 22 Uhr schaltet Radio Multikulti auf seine Weltmusiknachtstrecke, die Sendungen aus São Paolo, New York, London oder Paris bringt. Durch solche globalen Kooperationen und ein verbessertes Kultur- und Informationsangebot versucht Radio MultiKulti zu Hause in Berlin, seine Hörerquote zu heben. Außerdem hofft man aufeine stärkere Frequenz, da die derzeitige in weiten Teilen, besonders im Osten der Stadt, nur schlecht zu empfangen ist.

Vergleichbar gut ist die Lage nur in Köln beim Funkhaus Europa, das seit dem 5. Mai 1999 als Vollzeitprogramm on air ist. Die offiziellen Hörerquote bewegt sich zur Freude aller im messbaren Bereich bewegt – ein Programm wie „Funkhaus Europa“ kann mit seiner Musikfarbe eben nur den kleinsten gemeinsamen Geschmacksnenner seines potentiell weit gestreuten Publikums treffen. „Klar“, sagt Musikredakteur Ralf Ilgner, „manche Hörergruppen beklagen sich, dass zu wenig von ihrer Musik läuft. Neulich hat sich ein kurdischer Taxifahrer beschwert und wollte wissen, warum wir keine kurdische Musik spielen. Damals musste ich noch antworten: Wir haben keine. Am nächsten Tag kam er mit 20 CDs vorbei . . .“.

JAY RUTLEDGE

Der Autor moderiert beim BR die Sendung „Musik der Regionen“