Wenn’s nach Essig riecht, ist Feierabend

Punktsieg für Babelsberg im Clinch der Berliner Medienstandorte: Künftig hütet der ORB das audiovisuelle Gedächtnis der DDR. Das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) zieht in einen Neubau, die „MediaCity“ wird der Abrissbirne überlassen

Von außen sehen die beiden grauen viergeschossigen Betonriegel so aus, als seien sie schon vor langem verlassen worden. Kein Lebenszeichen dringt aus dem maroden ehemaligen „Schneidehaus“ und dem „Filmhaus“ des DDR-Fernsehens im Südosten Berlins.

Nur ein kleines Schild weist darauf hin, dass hier in der Adlershofer MediaCity das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) seinen „Standort Berlin“ hat. Doch nicht mehr lange, denn bei laufendem Betrieb findet bereits der Umzug statt: Bis 2001 soll das Rundfunkarchiv der DDR-Bestände in einem Neubau in Potsdam-Babelsberg untergebracht sein. Damit verlässt das gesamte audiovisuelle Gedächtnis der DDR seinen historischen Ort.

„Acht Kilometer Archiv-Akten, über 400.000 Hörfunk-Tonträger und mehr als 100.000 Fernsehsendungen verwalten wir hier“, sagt DRA-Direktor Joachim-Felix Leonhard. Nach der Wende hat das (west-)Deutsche Rundfunkarchiv von der ARD den Auftrag bekommen, das Programmvermögen des DDR-Rundfunks zu sichten, zugänglich und kommerziell verwertbar zu machen.

Neben einer wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit profitieren vor allem die Auftraggeber selbst von dieser Arbeit: SFB, ORB oder MDR senden „Polizeiruf 110“, Ausschnitte aus der „Aktuellen Kamera“ oder Zusammenschnitte aus DDR-Kultserien in so genannten „Gernsehabenden“, und auch die West-Anstalten nutzen intensiv das Adlershofer Archiv.

Von innen ähnelt dessen Haupthaus schon einem Gefängnis: Von langen Gängen gehen „Zellen“ ab, voll gestopft mit Material: Allein das Pressearchiv umfasst fünf Millionen Zeitungsauschnitte. In einer anderen „Zelle“ lagern die Schlagzeilen und Sendungsprotokolle der ehemaligen Hauptnachrichtensendung des DDR-Fernsehens. Doch die „Aktuelle Kamera“ ist nicht für die Ewigkeit: „Wenn es nach Essig riecht, hat der Zersetzungsprozess schon eingesetzt,“ meint Leonhard. Ein paar Räume weiter lagern 36.000 verschiedene Geräusche des DDR-Lebens: Von den Fluglauten der Waldschnepfe, über Treppenlaufen am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz bis zum Heulen eines Schakals im Tierpark Berlin ist alles zu finden. Sie gehören zum Schallarchiv des DDR-Hörfunks.

Der jetzt anstehende Umzug von Adlershof nach Babelsberg ist ein spätes, wenn auch unfreiwilliges Eingeständnis, dass Babelsberg der zukunftsweisendere Medienstandort ist. Schon in den Zwanzigerjahren stand das Gelände in Adlershof stets im Schatten der berühmten Filmstadt Babelsberg – obwohl in zum Adlershofer Studioverbund gehörenden Johannisthal auch so legendäre Stummfilmklassiker wie „Nosferatu“ oder „Das Testament des Dr. Mabuse“ gedreht wurden. Als die Ost-Filmgesellschaft Defa nach dem Krieg ihre Spielfilme in Babelsberg drehte, wurde Johannisthal zum bloßen Ausweichquartier und 1962 vom DDR-Fernsehen übernommen, das seit 1952 direkt nebenan aus dem Adlershofer TV-Zentrum sendete.

Über dieses historische Gelände verhandelte Mitte der 90er-Jahre Rundfunkarchiv und SFB, der die Gebäude kaufen und sanieren sollte. Die ARD stand hinter diesem Vorschlag, doch der SFB zeigte kaum Interesse – es wird gemunkelt, dass Adlershof für die Westberliner Entscheidungsträger „zu weit im Osten“ lag. Und so freut sich jetzt der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) in Potsdam-Babelsberg: Das neue DRA-Gebäude soll, mit Bibliothek und Datenbanken, den Zugang zu den DDR-Beständen erleichtern.

Die ehemaligen Schneide- und Filmhäuser des DDR-Fernsehens im Herzen der Adlershofer „MediaCity“, aus der endlich das „Berliner Hollywood“ werden sollte, warten derweil. Auf eine ungewisse Sanierung – oder die Abrissbirne. SILVIA LANGE