Offenbarungseid der Wirtschaft

Die Stiftungsinitiative der Wirtschaft zur Entschädigung von Zwangsarbeitern gesteht: Das Geld kommt nicht zusammen. Nun bettelt sie beim Staat: Die Beiträge ehemaliger öffentlicher Betriebe sollen dem Wirtschaftskonto zugeschlagen werden

von NICOLE MASCHLER

Eines muss man der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft lassen: Ein Gespür fürs rechte Timing hat sie. Kurz bevor in den USA die Entscheidung über die Abweisung der 55 noch anhängigen Klagen gegen deutsche Firmen fällt, überbringt ihr Sprecher Wolfgang Gibowski die Hiobsbotschaft. Die Stiftungsinitiative könne die zugesagten fünf Milliarden Mark zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter nicht allein aufbringen. Die Beiträge der inzwischen teilprivatisierten Unternehmen des öffentlichen Sektors wie Bahn, Post und Telekom müssten dem Anteil der Privatwirtschaft zugeschlagen werden. Ein Ansinnen, das alle Bundestagsparteien gestern prompt zurückwiesen. „Die Wirtschaft muss endlich ihren Zusagen nachkommen“, forderte der grüne Rechtsexperte Volker Beck gegenüber der taz.

Wenn privatrechtlich organisierte Unternehmen für den Bund finanzielle Verpflichtungen übernehmen, hatte Gibowski argumentiert, dann sei das eine „verdeckte Gewinnausschüttung“. Ein solches Vorgehen widerspreche dem Aktienrecht. Kein Wort davon, dass der Stiftungsinitiative bisher erst 4.200 Unternehmen beigetreten sind. Dass ihr immer noch 1,8 Milliarden Mark fehlen. Dass Firmen wie Tchibo, Rewe und das Chemieunternehmen Dow Deutschland nicht zahlen. „Große Masse“ könnten jetzt ohnehin nur noch die Bundesunternehmen bringen, glaubt Gibowski.

Mit ihren Beiträgen von insgesamt 400 Millionen Mark finanzieren die früheren Staatsunternehmen knapp ein Zehntel des Bundesbeitrages zum Entschädigungsfonds von fünf Milliarden Mark. Eine Umverteilung hat Bundesfinanzminister Hans Eichel bisher stets abgelehnt.

Aktienrechtlich sei es nicht unproblematisch, dass die Bundesunternehmen für den Bund einstehen sollen, findet auch der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach. Schließlich träten die Firmen am Markt privatrechtlich auf und müssten sich auch so verhalten. Bosbach schlägt vor, den Beitrag der Bundesunternehmen völlig aus der Entschädigungssumme herauszunehmen. Da heute schon klar sei, dass der nicht an den Entschädigungsverhandlungen beteiligte so genannte „Rest der Welt“ nicht ausreichend berücksichtigt sei, müsse man hier Vorsorge treffen. „Möglich wäre es daher, den Beitrag der Bundesunternehmen für dieses Zwecke zurückzustellen“, so Bosbach. Das Stiftungsgesetz müsste für eine solche Umverteilung nicht geändert werden.

Erst wenn die Verfahren erledigt sind, können die Auszahlungen an frühere Zwangsarbeiter beginnen. Erst im Frühsommer hatte die US-Regierung einem „Statement of Interest“ zur Rechtssicherheit zugestimmt, in dem sie der Justiz empfiehlt, Klagen gegen deutsche Unternehmen zurückzuweisen.

In den kommenden Wochen soll eine Gruppe von Abgeordneten nach Washington reisen, um den Inhalt erneut zu besprechen. Der Bundestag hat die Aufgabe, als Voraussetzung für die Zahlungen an frühere Zwangsarbeiter die Rechtssicherheit für die Unternehmen festzustellen.

Die Weigerung der Stiftungsinitiative, ihrer Zusage nachzukommen, werde sich nun möglicherweise kontraproduktiv auf die Verhandlungen um Rechtssicherheit in den USA auswirken, warnte SPD-Innenexperte Bernd Reuter gegenüber der taz.

Die Auszahlung hänge von der Frage der Rechtssicherheit ab, entgegnet Stiftungssprecher Gibowski. Da diese bisher nicht gegeben sei, könne auch nicht ausgezahlt werden. Ein Argument, mit dem sich die Wirtschaft seit Monaten weigert, in den Entschädigungsfonds einzuzahlen.

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