Smoke on the Wagner

Die lauteste Rockband der Welt kommt in die Jahre: Deep Purple spielten im ICC

Der Lord sprach: „Es werde Sinfonie!“ Und siehe – dort wo bisher nur vergreister Rock ’n’ Roll herrschte, ward plötzlich wagnerianische Größe. Zwar hält sie Einzug nur auf jener Weltenbühne, die zumeist von Carmens Nebel umwallt und vom lieben Gott Karel umarmt wird. Doch der Lord – Jon ist sein Vorname, Organist in dem ihm selbst geweihten Gottesdienst ist sein Beruf – will sich von derlei Profanitäten nicht den Abend verderben lassen. Seinen Abend.

Jon Lord ist der Donnergott an diesem Montag im ICC zu Berlin. Jener große Künstler, der schon vor drei Jahrzehnten den räudigen Bastard Hardrock von Englands Straßen holen und in den Royal Albert Halls dieser Welt verorten wollte. „Concerto For Group And Orchestra“ nannte er sein Werk, in dem mit Deep Purple die damals lauteste Rockband der Welt auf das damals konservativste Orchester Großbritanniens traf, um die Zukunft der Rockmusik zu entdecken. Damals. Da ging es noch um andere Dinge als bei Metallica oder den Scorpions, die sich aus lauter Überdruss schnell mal ein Orchester kaufen. „Pah!“, kann der Lord da nur entgegnen und den Grünhörnern das Salz der ernsten Kunst ins Scherzando reiben.

So hat er das Romanian Philharmonic Orchestra unter Paul Mann engagiert und damit zugleich den Weg gewiesen, wie man als Hardrocker den Einstieg ins Rentenalter mit einem Quäntchen Würde garnieren könnte. Auch das Publikum kann in gut gepolsterten Theatersesseln der eigenen Jugend angemessen hinterher träumen, um schließlich bei „Smoke On The Water“ alle Euphorie in den Akt des Aufstehens zu legen.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Er beginnt mit der Erkenntnis, dass Deep Purple nichts anderes betreiben als die Eltonjohnifizierung ihres Gesamtwerkes. Denn schon das eröffnende „Pictured Within“ führt uns vom Messedamm in Berlin-Charlottenburg hin zum Broadway, wo nun auch Elton John eine neue Heimat gefunden hat. Und wie aufs Stichwort entert Ronnie James Dio die Bühne: Der letzte König der Löwen...mähnen, dessen Hang zum Wagnerianismus sich früher in einem Bühnenbild voller Geisterbahn-Drachen und Pappmaché-Burgen manifestierte. Was er darüber hinaus jedoch auf diesem Konzert verloren hat, wird auch nach dem vierten Song nicht deutlich.

Ihm folgt der angestammte Sänger Ian Gillan in einem Konzertverlauf, der mit Erreichen des Zugabenteils endgültig zur Nummernrevue der Rockmusik verkommen sein wird. Gitarrist Steve Morse mutiert hier zur Jukebox mit gestörter Programmwahl, als er von „Hell’s Bells“ über „Iron Man“ bis „Smoke On The Water“ all jene Riffs der Rockgeschichte anspielt, die man problemlos und in Frieden ruhen lassen könnte.

Lediglich mit dem „Concerto“, lieblos zwischen die Raritäten und Golden Oldies gequetscht, wird dieses Konzert dem eigenen Anspruch der sinfonischen Größe gerecht. Auch wenn man dreißig Jahre nach Uraufführung natürlich weiß, dass weder die Klassik noch Jon Lord den Rock ’n’ Roll vor seinem Siechtum bewahrt haben. BJÖRN DÖRING