Nun kommt alles anders

Unser Autor war Titos Übersetzer, Tudjmans Redakteur und mit Slobodan Milošević’ älterem Bruder befreundet. Nun hat er das Ende des Regimes erlebt

aus Belgrad IVAN IVANJI

Oft habe ich mich gefragt, wie wird das sein: Wenn ich am Morgen das Radio einschaltete, um Nachrichten zu hören, sagte ich manchmal zu meiner Frau: „Vielleicht kommt endlich die Meldung von seinem Selbstmord?“ Natürlich habe ich Slobodan Milošević gemeint.

Mein Problem ist, dass ich die meisten Akteure des Zerfalls meiner Heimat, die ich immer noch Jugoslawien nenne, persönlich gekannt habe. Befreundet war ich mit dem älteren Bruder des gestürzten Präsidenten und seinem jetzigen Botschafters in Moskau, Borislav Milošević. Der war Titos Dolmetscher für Russisch, wie ich für Deutsch. Und Slobo war der jüngere Bruder. Gegenüber jüngeren Brüdern ist man meist verächtlich. Das konnte ich nie abschütteln. So wie ich nicht vergessen konnte, dass ich als Redakteur Artikel vom damals jungen Oberst der jugoslawischen Armee, Franjo Tudjman, der sich auf die Honorare freute, bestellt habe.

Oft habe ich an den rumänischen Diktator Ceaușescu gedacht. Die Liebe, die ihn und seine Frau verbunden hat, war eigentlich rührend. Auch wie Milošević und seine Gattin einander zugetan sind, könnte man ergreifend nennen. Und so dachte ich an die grausamen Bilder über den kurzen Prozess und die Hinrichtung der Ceaușescus und fragte mich, werden auch meine Herrscher dieses Schicksal erleben. Oder wird es ihnen wie Honecker ergehen . . .

Nun kommt alles anders, aber vergleichen darf man zumindest einige jener Bilder, die man sich fürs Leben eingeprägt hat.

Der Aufmarsch der Demonstranten in Belgrad am 5. Oktober hatte schon Ähnlichkeiten mit den Aufzügen in der untergehenden DDR, so wie die Szenen vor dem in Brand gesteckten Gebäude des Staatsfernsehens mit Bukarest vergleichbar sind.

Am interessantesten war das Verhältnis zwischen Aufständischen und Polizei. Als ich im Fernsehen die Polizisten mit hochgehobenen Händen vor die Menge treten sah, erinnerte es mich an Ungarn, wo ich mir 1956 als junger Journalist erste Sporen verdiente. Dort wurden die Männer allerdings an der erstbesten Akazie aufgeknüpft. In Belgrad kam es zur Fraternisierung.

Um zu beweisen, dass sie nichts Übles im Sinne hatten, verschenkten die Polizisten Stahlhelme und Schlagstöcke oder tauschten ihre Dienstmarken gegen Abzeichen der Opposition ein. Man küsste sich und die Menge rief begeistert: „Blau, blau!“ So spornt man die jugoslawische Fußballmanschaft an, die in blauen Trikots antritt, aber auch die Polizeiuniformen in Jugoslawien sind blau.

Der neue Bürgermeister von Belgrad, Milan Protić, war offiziell noch gar nicht im Amt, als er zur Polizeistation im Zentrum der Stadt eilte, um die Beamten vor der Menge zu schützen. Er herrschte Randalierer an: „Ich bin der Bürgermeister, und ihr habt euch ordentlich zu verhalten.“ Er sagte, das sei jetzt unsere Polizei, die für unsere Ordnung und Sicherheit zu sorgen habe.

Ach, ich sehe den Eifer, mit dem sich Journalisten im Fernsehen und in Zeitungen beeilen zu zeigen, wie frei und demokratisch sie sind, aber bereit wären, die neuen Machthaber zu Heiligen zu machen.

Vojislav Koštunica hat gelobt: „Ich werde nicht zulassen, dass die Macht mich verändert.“ Ich glaube, dass er es ehrlich meint, aber wird ihm die Kraft dazu vergönnt sein? Noch ist er nicht einmal vereidigt. Legal gesehen in keinem Amt. Aber den russischen Außenminister, Igor Iwanow, der als Erster nach dem Machtwechsel nach Belgrad geeilt ist, empfängt er in dem Regierungsgebäude, das Tito für sich erbauen ließ, und nicht im Büro der Serbischen Demokratischen Partei, deren Präsident er ist.

Nicht nur ich sage, von vielen habe ich es gehört: Wenn die – die bisherige Opposition – an der Macht sind, werden wir sie endlich ordentlich kritisieren können. Bisher hat man möglichst nichts getan, was Milošević genützt hätte. Ich kenne Koštunica nur oberflächlich. Aber der neue Präsident hat doch einiges erklärt, was ich sehr positiv bewerte: Koštunica sagte, er wolle nur ein bis anderthalb Jahre im Amt bleiben, um zu gewährleisten, dass wirklich freie Wahlen stattfinden, denn diese seien es, obwohl die Opposition und er ja gesiegt hätten, nicht gewesen.

Außerdem hat Koštunica versprochen, Jugoslawien würde ein normales und langweiliges Land werden. Ist das jetzt in Sicht? Das möchte ich noch erleben.