Preisschock als Chance

Regierung und Opposition führen eine oberflächliche Ölpreisdebatte: Sie diskutieren über Ökosteuern und Pendler-Subventionen. Dabei steht eine Energiewende an

Brennstoffzellenpassen in jeden Keller. Ein „100.000-Keller-Programm“ wäre eine gute Idee für 2005

Mitten in der erregten Ölpreisdebatte warben die Handwerker aus Uelzen mit ganzseitigen Anzeigen für Energieeinsparung im und am Gebäude: „Sie müssen nicht demonstrieren. Wir halbieren Ihre Energierechnung sofort.“ In Memmingen trafen sich Bauern, um Dampf gegen die Regierung abzulassen. Sehr zum Leidwesen der Verbandsfunktionäre überwog freilich nicht die Forderung nach Aussetzung der Ökosteuer, sondern der Ruf nach mehr Geld für erneuerbare Energien. Zwischen Konzernzentralen in Wolfsburg, Stuttgart und München ist ein Krieg der Worte ausgebrochen, seit VW-Chef Piëch angekündigt hat, man werde demnächst das Einliterauto präsentieren. BMW und Daimler halten das für einen Irrweg; sie setzen auf Wasserstoff statt auf Sparmodelle. An der Frankfurter Börse zeigen Solarwerte wie Solon und Solarworld einen steten Aufwärtstrend. Und Gelsenkirchen jubelt nicht nur über Schalke, sondern auch über die größte Solarfabrik Europas.

Was lehren uns diese Geschichten? Die politische Debatte spiegelt die Realitäten nur unvollständig. Da ist viel von Benzinwut, Blockaden und K.O.-Steuern zu hören, aber nur wenig von den Chancen einer Energiewende. Da ruft die Opposition: Ökosteuer abschaffen! Und die Regierung erwidert voreilig: Subventionen für Bedürftige! Mit vorausschauender Energiepolitik hat Ersteres gar nichts, Letzteres aber auch nicht viel mehr zu tun. Dabei wissen alle, worum es geht: die Abhängigkeit vom Erdöl zu senken – durch effizientere Energiebereitstellung, Energieeinsparung und erneuerbare Energien. Energiepolitik muss Technologiepolitik werden.

Volkswirtschaftlich sind Wärmedämmung, Solararchitektur, Sonnenkollektoren, Biokraftwerke, Sparautos und Brennstoffzellen nichts anderes als die Substitution von teuren Ölimporten durch inländischen Ingenieursverstand, inländische Handwerksleistungen und Industrieproduktion. Das Geld fließt nicht ab, sondern bleibt im Wirtschaftskreislauf, schafft Arbeit und Kaufkraft. Gleichzeitig sinkt die Anfälligkeit gegenüber externen Preisschocks. Die Entwicklung seit den Ölpreiskrisen der 70er-Jahre lässt sich für die alte Bundesrepublik schlicht zusammenfassen: Die Wirtschaft ist gewachsen, der Energieverbrauch konstant geblieben. In den neuen Ländern vollzog sich diese Entwicklung im Zeitraffer. In Zukunft kann die Devise anspruchsvoller ausfallen: Die Neue Ökonomie soll qualitativ wachsen, der Energieverbrauch sinken, der Anteil von erneuerbaren Energien zunehmen. 2050 kann in Deutschland die Hälfte der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Dies wird auch auf den Weltmärkten der Zukunft zum Vorteil: Wachstumshoffnungen und Energiehunger der Entwicklungsländer sind gigantisch. Sie werden angesichts steigender Ölpreise Technologien benötigen, die kosten- und energieeffizient sind und ihnen helfen, ins postfossile Zeitalter vorzustoßen.

Ökologisch steht der baldigeAbschied vom Öl ohnehin an. Was die Natur durch Photosynthese und anschließende Fossilierung der Pflanzen in Jahrmillionen zu Kohle, Öl und Gas umwandelte, pumpt die Menschheit heute in Rekordzeit als Kohlendioxid in die Atmosphäre zurück. Würden alle heute bekannten Vorräte an fossilen Energieträgern in Kohlendioxid transformiert, wäre der Treibhauseffekt gigantisch. Schwere Turbulenzen der ökologischen und sozialen Systeme wären die Folge: von Wetterextremen über den Schwund an biologischer Vielfalt bis hin zu Völkerwanderungen. Verlierer wären die zukünftigen Generationen und die Armen, die zwar zur Entstehung des Problems nicht beigetragen haben, aber massiv betroffen wären. Daher haben sich die Industriestaaten im Klimaprotokoll von Kioto verpflichtet, ihre Emissionen deutlich zu reduzieren und die Entwicklungsländer beim Klimaschutz zu unterstützen. Die Einlösung dieses Versprechens steht aber noch aus.

Wir hängen am Öl wie Junkies an der Nadel. Der Anteil des Öls am gesamten Energieverbrauch liegt hierzulande bei 40 Prozent. Dass dies erpressbar macht, wussten die Deutschen schon einmal besser. Helmut Schmidt hat diese Einsicht verkörpert wie kein zweiter. Seine Therapie gegen das Opec-Kartell, neben Energiesparen vor allem Atomkraftausbau und verstärkter Einsatz von heimischer Kohle, hatte freilich Tücken, war umstritten und letztlich teuer. Heute haben wir mit Effizienz- und Solartechnik bessere Alternativen. Sie sind in eine konsistente Politikstrategie zu überführen.

1. Das Steuer- und Abgabensystem ist systematisch an Kriterien der Energieeffizienz auszurichten: Erneuerbare Energien und biogene Kraftstoffe sind bis auf weiteres von Energiesteuern zu befreien. Die Kraftfahrzeugsteuer ist so umzugestalten, dass verbrauchs- und emissionsarme Fahrzeuge für lange Zeit steuerfrei bleiben. Der Mehrwertsteuersatz auf Bahntickets im Fernverkehr soll halbiert werden. Das Steuerprivileg für den Luftverkehr muss europaweit abgebaut werden. Berufspendler sollen unabhängig vom Verkehrsmittel eine Pendlerpauschale von der Steuer absetzen können, wobei das derzeitige Niveau eher zu hoch als zu niedrig liegt. Die Kritik an der ökologischen Steuerreform ist, sofern in konstruktiver Absicht vorgebracht, aufzugreifen. Vor allem die zahlreichen Ausnahmen sind auf Dauer ökologisch nicht zu rechtfertigen.

2. Ökologisch kontraproduktive Subventionen sind abzubauen, ökologische Förderprogramme entsprechend zu erweitern: Vorrangig ist die Aufstockung von Haushaltsmitteln für Wärmedämmung, Heizungsanlagenmodernisierung, Solarthermie und Biomassenutzung. Motto: Nicht kleckern, sondern klotzen. Zur Gegenfinanzierung bietet sich der Abbau umweltschädlicher Subventionen an. Was spricht etwa dagegen, die gesparten Subventionen bei der Steinkohle eins zu eins umzuwidmen für den Aufbau einer solaren Wasserstoffwirtschaft? Das wären bis 2005 immerhin einige Milliarden Mark.

3. Der Wettbewerbsrahmen für die Energiewirtschaft ist ökologisch zu ergänzen: Der Strommarkt in Deutschland ist liberalisiert worden. Dieses Aufbrechen der alten Gebietsmonopole ist zu begrüßen. Es besteht aber die Gefahr, dass es zu einem reinen Preiswettbewerb und nicht, wie klimapolitisch erforderlich, zu einem Qualitätswettbewerb kommt. Deshalb ist es zwingend, ökologische Stützelemente in den Wettbewerbsrahmen der Energiewirtschaft einzuziehen. Angezeigt ist ein System, das Obergrenzen und Reduktionspfade für den Kohlendioxidausstoß festlegt und den Beteiligten überlässt, mit welcher Technologie sie diese Ziele erreichen. Werden die vom Staat erteilten „Emissionsrechte“ überdies handelbar gemacht, ist auch größtmögliche Wirtschaftlichkeit sichergestellt.

Wir hängen am Öl wie Junkies an der Nadel. Dass dies erpressbar macht, wussten die Deutschen schon mal

4. Die Forschung für neue Energieformen ist auszuweiten: Die Energiesysteme der Zukunft werden sich radikal von denen der Gegenwart unterscheiden. Dezentralität und Vernetzung, vor kurzem noch als grüne Phantastereien abgetan, werden zu Struktur bildenden Prinzipien der neuen Energiewirtschaft. Großkraftwerke auf der Wiese werden zur Ausnahme, Kleinkraftwerke mit Internetanschluss zur Regel. Vor allem die Entwicklung von leistungsfähigen Brennstoffzellen und intelligenten Managementsystemen muss vom Staat deutlich stärker gefördert werden als heute. Weil Brennstoffzellen im Prinzip in jeden Keller passen, sprechen manche schon vom 100.000-Keller-Programm (analog zum 100.000-Dächer-Programm für Photovoltaik). Vielleicht eine gute Idee für 2005.

5. Deutschland braucht endlich eine Energie-Außenpolitik. Die Bundesrepublik deckt praktisch ihren gesamten Ölbedarf durch Importe. Gleichzeitig trägt sie durch hohe Kohlendioxidemissionen überproportional zum menschgemachten Treibhauseffekt bei. Was zu tun ist, liegt auf der Hand: Durch Energieeinsparung muss das Oligopol der Ölanbieter geschwächt werden. Gleichzeitig ist aber auch der Dialog mit den Ölanbieterstaaten zu intensivieren, denn es ist töricht, sie nur als „abzockende Ölscheichs“ zu denunzieren. (In den meisten OPEC-Staaten liegt das Pro-Kopf-Einkommen meilenweit hinter unserem.) Und an starken Preisschwankungen hat niemand Interesse. Die zentrale Aufgabe einer deutschen Energie-Außenpolitik wäre es freilich, die Kooperation mit Entwicklungs- und Transformationsländern systematisch zu fördern, um Effizienz- und Solartechniken weltweit zum Durchbruch zu verhelfen. Gegen solcherlei Exportförderung dürfte es keine Einwände geben. Das entsprechende Instrumentarium ist da, von den Hermes-Bürgschaften über die flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls bis zur Entwicklungszusammenarbeit. Man muss es nur einsetzen wollen.

REINHARD LOSKE