Abwärts mit falschen und echten Tigern

Pünktlich zur Norddeutschen Comic-Börse: Ein neuer Krimi-Comic von Jacques Tardi  ■ Von Ole Frahm

Brauchen wir einen Comic, um zu wissen, dass der Kapitalismus gewalttätig ist? Brauchen wir einen Comic, der uns sagt, dass der Kapitalismus außer Mehrwert auch noch Verlierer, Tote und Elende produziert? Brauchen wir einen Comic, der uns sagt, dass es im Kapitalismus immer nur eine Richtung gibt: Abwärts? Nein, aber ein Comic namens Abwärts macht solches Wissen unterhaltsam - und das brauchen wir. Abwärts ist das jüngste Werk des Comiczeichners Jacques Tardi, das er mit dem Krimiautoren Daniel Pennac gemeinsam produziert hat; ein kleines Meisterwerk.

Seit 30 Jahren sammelt Tardi in seinen Comics Spuren des Verbrechens der Moderne. Mit seiner Serienheldin Adele Blanc Sec begegnen wir vom Anfang des 20. Jahrhunderts an verrückten Wissenschaftlern, Ritualmorden und den Monstern, die der Ersten Weltkrieg verursachte. Am Ende des Zweiten Weltkriegs setzen seine Adaptionen der Krimis von Leo Malet an, in denen der Detektiv Nestor Burma immer auch mit politischen und sozialen Problemen konfrontiert ist. Tardi schreibt so unauffällig Geschichte.

Doch Tardi arbeitete auch gegenwartsbezogen. Sein erstes Album handelt davon, wie die Pläne eines multinationalen Konzerns von Zwergen und Zauberern durchkreuzt werden. In dem hard-boiled-Krimi Der Schnüffler kämpft der Detektiv gegen eine Verschwörung von Maklern, Nachtklubbesitzern und Polizei. In dieser Reihe steht Abwärts. Es spielt in der neoliberalen Gegenwart, ist angenehm alltäglich und doch völlig obskur: Ein Arbeitsloser sperrt sich in den Käfig des Zoos. Das Medienecho ist groß - bis sich der Unbekannte erhängt. Selbstmord? Mord? Dass dieser Arbeitslose kein Opfer des Systems war, sondern ein Täter, der die Umsätze seiner Firma in die Höhe trieb, indem er vor laufenden Kameras deren Hundefutter aß, ist nur eine der vielen Überraschungen, die Abwärts bietet.

Der heimliche Held des Comics ist der Tiger des Tiergartens: „Er frisst alle, die ihn nerven“. Der Kapitalismus, so wird deutlich, ist kein Papiertiger: Er frisst alle „Ausgezählten“. Das Gegenmittel ist der lebendige Tiger, der sich von den Siegern der Geschichte nährt, wenn er nur aus seinem Käfig herausgelassen wird.

Abwärts ist ein wunderbarer Krimi, weil er mehrfach gelesen werden muss. Die vielen Indizien, die von Anfang an für die Lösung des Mordes gegeben werden, bleiben zuerst unerkannt. Nur in wiederholter Lektüre beginnt sich das allegorische Puzzle aus Panels zusammenzusetzen, ohne sich jemals vollständig zu erschließen. Die Leere zwischen den Panels bleibt beunruhigend. Hinter ihr verbirgt sich nichts. Alles ist sichtbar - es müssen nur die richtigen Schlüsse gezogen werden. Dass dies weder besserwisserisch noch zynisch, sondern unterhaltsam vorgetragen wird, ist die große Leis-tung von Pennac und Tardi.

In Abwärts wird damit eine Strategie vorgestellt, die auf die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst angewandt werden will. „Detektiv-Romane halten dem Zivilisatorischen einen Zerrspiegel vor, aus dem ihm eine Karikatur seines Unwesens entgegenstarrt“ schrieb Siegfried Kracauer 1925. Abwärts bring dieses Programm erfolgreich auf den Stand unserer Tage.

Jacques Tardi / Daniel Pennac: Abwärts. Edition Moderne 2000. Norddeutsche Comic-Börse: heute, 10 - 17 Uhr, Uni Mensa, Schlüterstr. 7