O Bruder, wo bist Du!

■ Asiatisch-amerikanischer Dialog des organisierten Verbrechens: Takeshi Kitanos erster Hollywoodfilm „Brother“ läuft vorab auf dem Filmfest

Wenn gleich zu Beginn von Bro-ther Takeshi Kitanos längst zum Trademark geronnenes Zucken des Augenlids zu sehen ist, ahnen wir kaum Gutes. Nicht zuletzt dank Quentin Tarantino ist der Mann in den USA ein Begriff vor allem für harte, unglaublich harte Gangsterfilme – und vielleicht noch für einen Inszenierungsstil, der am interessantesten ist, wo er sich von der visuellen Grammatik Hollywoods entfernt. Kein Wunder also, wenn nun Kitanos erster Hollywoodfilm vor allem diese Erwartungshaltung in Sachen Coolness und Action bedient und anderes auf Platz zwei delegiert.

Von seinen einstigen Yakuza-Kollegen verbannt, reist Yamamoto (Kitano) nach L.A., um seinen Halbbruder Ken um Unterschlupf zu bitten, der mit seinen latino- und afroamerikanischen Homies als kleiner Drogendealer arbeitet. Dass Yamamoto kein Englisch spricht, bietet allein schon genug Möglichkeiten, komische Missverständnisse zum Motor des asiatisch- (afro-) amerikanischen Dialogs zu machen, von dem Brother zum Teil handelt. So nimmt sich der Film zunächst wie eine mit brutalem Humor inszenierte Ghost Dog-Variante aus, bis die Genreelemente greifen: Als sich Yamamoto in Kens Geschäfte einzumischen beginnt, tut er das mit jener Erbarmungslosigkeit, die man nicht nur der Yakuza, sondern auch Kitano selbst nachsagt, der als Fernsehkomiker ganze Reisebusse mit Quizkandidaten im Wasser versenkt: Vorsicht! Dieser Mann ist gefährlich hieß einer seiner japanischen Filme im Original. So wird die „Familie“ schnell ungeheuer erfolgreich. Weil aber Gangsterfilme nie nur vom Aufstieg, sondern auch immer vom Fall handeln – nicht nur das macht sie zum Spiegel der Krisenzyklen des kapitalistischen Markts –, steuert die Chose unaufhaltsam auf einen enorm blutigen Bandenkrieg zu. Dabei ist es dann gerade der Afroamerikaner Denny (Omar Epps), der den Yakuza-Ehrenkodex am stärksten verinnerlicht hat.

All das ist zwar spannender als die meisten Hollywoodfilme, hinterlässt aber dennoch einen faden Nachgeschmack. Denn was an Filmen wie Sonatine oder Hana-Bi so faszinierte, war, wollte man es mit Deleuze formulieren, der gerade im so kausal- und triebgesteuerten Genre wie dem Gangsterfilm vollzogene Übergang vom „Bewegungs-“ zum „Zeitbild“. Wie europäische Autorenfilmer interessierte sich Kitano immer für jene Momente, die zwischen der Handlung passieren: Darum ist Kitano im Kino so gerne zu Fuß unterwegs, und darum wird in seinen Filmen auch so viel gewartet oder mit kindlicher Selbstvergessenheit am Strand gespielt. Eine auf Effizienz ausgelegte Erzählweise wie die Hollywoods kann solche Elemente allerdings nur wahrnehmen als das, was sie sind: als unproduktive Verschwendung und Überschuss. In Brother haben sie wieder einen Platz. Und der ist gerade einmal so groß, wie man Zeit braucht, um einen Film mit der Autorenfunktion abzuzeichnen: den des Selbstzitats. Tobias Nagl

Sa 22.30 Uhr, Abaton. Brother startet voraussichtlich am 7. Dezember