Kampf um Kaffee

Kaffee aus dem sandinistischen Nicaragua ist für Alternative oft kein magenfreundlicher Genuss – wird aber trotzdem getrunken, weil er als solidarisches Produkt gilt. In Zukunft wird mit fair gehandelten Bohnen nur noch eine aussterbende landwirtschaftliche Produktionsform unterstützt

von TONI KEPPELER

Fast jeder, der sich im Umfeld linker Gruppierungen oder kirchlicher Soldaritätszirkel bewegt, kennt einen Kaffeepflücker. Oder er kennt einen, der einen kennt. Oder er hat gar selbst schon Kaffee gepflückt. Zu Tausenden reisten solidarische Deutsche in den Achtzigerjahren zur Erntezeit nach Nicaragua. Selbst hoch bezahlte Beamte wie der Tübinger Theologieprofessor Norbert Greinacher legten Hand an. Sicher: Jedes in den Kaffeezonen Nicaraguas lebende Kind arbeitete effektiver. Aber darauf kam es nicht an. In fast jeder deutschen Wohngemeinschaft wurde Sandinokaffee getrunken, obwohl der leicht auf den Magen schlug und auch ein paar Mark teurer war. Aber auch darauf kam es damals nicht an.

Es ging um Solidarität mit einem politischen Projekt. In Nicaragua hatten die Sandinisten 1979 den Diktator Anastasio Somoza verjagt und waren dabei, gegen den erbitterten Widerstand der USA und der von ihnen finanzierten Contra ihr Modell eines menschenwürdigen Entwicklungslandes aufzubauen. Niemand sprach damals so schön vom „neuen Menschen“ wie der dichtenden Priester Ernesto Cardenal. In Deutschland erreichte er auch nahezu dessen Kultstatus.

Mit fairem Handel hatte dieser Nicaraguakaffee allerdings nichts zu tun. Nimmt man die Bedingungen als Maßstab, die die deutsche Handelsgesellschaft „Contigo“ von ihren Handelspartnern für Fair Trade-Verträge verlangt, so haben die Sandinisten damals gegen alle fünf Richtlinien verstoßen.

Aber der Reihe nach. Fairer Handel bedeutet nach diesen Klauseln auf Produzentenseite: Erstens keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit. Seit in Zentralamerika Kaffee angebaut wird, werden bei der Ernte Kinder eingesetzt. Kaffeeernte ist Saisonarbeit. Übers Jahr sind auf den Pflanzungen nur wenige Arbeiter beschäftigt. Doch im November, bei Erntebeginn, steigt der Arbeitskräftebedarf schlagartig an. Familien kommen mit Sack und Pack und eben auch mit den Kindern auf die Plantage, leben und arbeiten dort einige Monate und ziehen dann wieder ab. Weil der Lohn niedrig ist und das verdiente Geld oft das ganze Jahr reichen muss, müssen auch die Kinder Kaffeekirschen pflücken. In den Kaffee produzierenden Ländern Zentralamerikas fallen noch heute die Schulferien mit der Erntezeit zusammen. Das war auch im sandinistischen Nicaragua nicht anders.

Zweitens keine Diskriminierung wegen Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder politischer Meinung. Was die Bekämpfung der Rassen- und Geschlechterdiskriminierung angeht, haben die Sandinisten zweifellos Verdienste. Doch ihr Umgang mit politisch Andersdenkenden war und ist bis heute alles andere als tolerant. Drittens angemessene Löhne für alle Mitarbeiter. Kann es für Saisonarbeit überhaupt einen „angemessenen“ Lohn geben? Müsste der dann nicht – bei drei Monaten Arbeit im Jahr – das Vierfache des gesetzlichen Mindestlohns betragen? Viertens gesunde Arbeitsbedingungen. Ist es menschenwürdig, wenn ArbeiterInnen wochenlang in zugigen Barracken auf dem Boden hausen und dreimal täglich mit Maistortillas und gekochten Bohnen abgespeist werden? So ist das Leben auf zentralamerikanischen Kaffeeplantagen bis heute. Und so war es auch im sandinistischen Nicaragua.

Fünftens Transparenz und Bereitschaft zur Überprüfung. Zu sandinistischen Zeiten war der Kaffeeexport in Staatshand zentralisiert. Nie wurde offen gelegt, woher der exportierte Kaffee kam und wohin das dafür erlöste Geld floss. Kurzum: Sandinokaffee hätte nie die Kriterien für fairen Handel erfüllt. Aber wie gesagt, darum ging es damals nicht. Und trotzdem: Kaffee wurde zum Inbegriff eines Fair Trade-Produkts.

Ganz am Anfang stand nicht nur Kaffee. Die Ursprünge des solidarischen Handels mit Produzenten in der Dritten Welt liegen ein rundes Jahrzehnt vor der sandinistischen Revolution. Im Umfeld von christlichen Jugendgruppen entstanden die so genannten Dritte-Welt-Läden, in denen es neben Tee und Kaffee, Gewürzen und Kunsthandwerk vor allem viele Informationen gab. 1975 wurde mit der Gepa (siehe Randspalte) die erste deutsche Fair-Trade-Handelsgesellschaft gegründet. Auch ihr ging es zunächst vorwiegend um Information. Motto: „Lernen durch Handeln“.

Mit dem Nicaraguakaffee wurde der solidarische Dritte-Welt-Handel auch für ein breiteres politisches Spektrum attraktiv. Mit den „Jute statt Plastik“-Taschen gelang der Gepa damals sogar ein echter Renner. Mehr als zwei Millionen dieser Tragesäcke aus Bangladesch wurden verkauft. Heute macht die Gepa knapp sechzig Millionen Mark Jahresumsatz und arbeitet selbst mit großen Versandhäusern zusammen.

Die Berührungsängste mit dem Handelskapital aber hat zuerst Transfair überwunden, eine Institution, die sich der Überwachung fairen Handels verschrieben hat. Die Gründer hatten von vornherein die Supermärkte im Visier. Fair gehandelter Kaffee aus der Dritten Welt sollte in die großen Handelsketten. Teurer zwar, dafür aber per Siegel als handelspolitisch korrekt markiert.

Dieses 1993 erstmals vergebene Siegel bekommt, wer seinen Rohkaffee direkt beim Produzenten einkauft, einen Mindestpreis bezahlt, langfristige Lieferbeziehungen aufbaut und den meist kleinbäuerlichen Produzenten auf Wunsch ihre Ernte vorfinanziert. Seither wurden gut fünfzig Millionen Pfundpackungen mit diesem Aufkleber verkauft. Die Produzenten nahmen damit rund 180 Millionen Mark ein.

Das hört sich ganz gut an. Doch der Marktanteil von TransFairkaffee liegt in Deutschland gerade einmal bei zwei Prozent. Aber immerhin: Kleine Produzenten, die an dieses Handelssystem angeschlossen sind, verdienen im Vergleich zu anderen das Zwei- bis Dreifache mit ihrem Kaffee. Reich werden sie trotzdem nicht. Denn der garantierte Mindestpreis liegt nur knapp über den Produktionskosten. Der Weltmarktpreis dümpelt derzeit unter einem Dollar. Das bedeutet: Die meisten Kaffeebauern arbeiten mit Verlust.

Das wird wohl auch so bleiben, bis sie bankrott sind. Der Weltmarkt ist tendenziell übersättigt. Wenn über Brasilien, das rund ein Drittel der weltweiten Produktion liefert, keine verheerende Fröste hereinbrechen, ist das Angebot immer größer als die Nachfrage – unabhängig vom Rückhaltesystem, auf das sich die in der Organisation Kaffee produzierender Länder zusammengeschlossenen Länder geeinigt haben. Zwanzig Prozent der diesjährigen Ernte soll eingelagert werden, um dem Weltmarktpreis Auftrieb zu geben. Trotz dieser Regel ist der Preis noch weiter gesackt. Langfristig wird der Kaffeepreis eher weiter sinken.

Denn die Solidarirät unter den Produzenten reicht nicht sehr weit. Vor allem die Brasilianer wollen nicht weniger, sondern mehr verkaufen. In den vergangenen Jahren haben sie mehr und mehr Plantagen aus dem frostgefährdeten Südosten des Landes ins frostfreie Savannenhochland im Nordosten verlegt. Dort stehen bis zu fünf Mal mehr Sträucher pro Hektar als auf den alten Pflanzungen. Darunter auch neu entwickelte Qualitätssorten, die dem bislang nahezu konkurrenzlosen Hochlandkaffee aus Zentralamerika und Kolumbien vergleichbar sind.

Die neuen Plantagen können maschinell abgeerntet werden. Sie sind auch noch bei einem Weltmarktpreis von sechzig Cent pro Pfund rentabel – ohne Kinderarbeit und mit ordentlichen Löhnen für die Maschinisten.

Es dauert rund fünf Jahre, bis so eine Plantage die erste optimale Ernte abwirft. Eine letzte Gnadenfrist für den Zentralamerikakaffee. Es ist mehr als fraglich, ob sich danach noch ein Importeur für fair gehandelten Kaffee interessiert. Wahrscheinlicher ist, dass die ohnehin enge Marktnische für solchen Kaffee noch enger wird, wenn er für Verbraucher das Doppelte des brasilianischen Industriekaffees kostet.

Noch kann Fair Trade-Kaffee seinen mageren Marktanteil halten. Absehbar ist aber, dass er bald wieder zurück muss in die Ecke der verbliebenen Solidaritätszirkel. Mit einem Unterschied: Es wird kein politisches Projekt mehr sein, sondern eine aussterbende landwirtschaftliche Produktionsform: Nostalgie statt Sozialismus.

TONI KEPPELER, 44, Espressotrinker und Zentralamerikakorrespondent der taz, lebt seit sechs Jahren im Kaffeeland El Salvador