Wenn Wasser zur Waffe wird

Für viel Geld Wasser von den Israelis kaufen oder sich Stunden vor eine tröpfelnde Quelle hocken: Die zwei Arten, in Palästina nicht zu verdursten

aus dem Westjordanland von ANNE PONGER

Solche Szenen würde man malerisch, pastoral, idyllisch nennen. Sei es im Dorf Dur-al-Karea nördlich von Ramallah, sei es neben dem Flüchtlingslager al-Fawwar oder am Rande des Dorfs Karmel südlich von Hebron – überall dort, wo spärliche Rinnsale aus den Sandsteinfelsen palästinensischer Hügel tröpfeln, sitzen Frauen, kleine Mädchen, Halbwüchsige, junge und alte Männer mit Eimern und anderen Plastikgefäßen. Daneben sind Esel „geparkt“, die die Eimer, sind sie einmal voll, nach Haus transportieren sollen. Wer keinen Esel besitzt, balanciert das Wassergefäß geschickt auf Kopf oder Schulter heimwärts, möglichst ohne einen kostbaren Tropfen zu verschütten.

Einen Eimer füllen kann, je nach Kraft der Quelle, mehr als eine Stunde dauern. Die Erwachsenen plaudern, die Kinder spielen. So ähnlich muss es schon zu biblischer Zeit gewesen sein, nur dass die Wasserbehälter damals aus Ton waren.

Nur noch grüner Schleim

Idylle? Es ist glühend heiß, um die 40 Grad im Schatten, mehr als 60 in der Sonne. Die antiken Reservoire neben den Quellen enthalten heute nur noch Überreste von grünem, stinkenden Schleim, auf dem Abfall schwimmt. Vor zwei Monaten noch badeten Kinder zur Abkühlung in der Brühe des riesigen, aus römischer Zeit stammenden Karmel-Reservoirs , Kinder mit zerrissenen Unterhosen, mit Plastikflaschen um die Arme gebunden, mit Algen auf Haar und Gesicht. Ihre Mütter hatten keine Ahnung, dass verseuchtes Wasser krank macht. Und etliche Kinder ertranken in der Jauche. Jetzt liegt die Wasserfläche in Knöchelhöhe, der Karmel-Schwimmklub der palästinensischen Jugend ist wegen Austrocknung geschlossen.

Zwei regenarme Winter, zwei knisternd heiße Sommer hat die Region erlebt. Von Oktober bis April wird Regen auf Dächern aufgefangen und in unterirdische Zisternen geleitet, die jedes traditionelle palästinensische Haus besitzt. Das Wasser soll die Familie von November bis Mai versorgen. Soll. Nun sind die Zisternen leer, die Wasserleitungen der Dörfer seit zwei Jahren trocken. 150 palästinensische Dörfer und Flüchtlingslager mit 215.000 Bewohnern sind bisher an keinerlei Wassersystem angeschlossen.

Nur zwei Möglichkeiten bleiben den Palästinensern, wollen sie nicht verdursten, ein Minimum an Hygiene bewahren, kochen und Wäsche waschen. Wer es sich leisten kann, kauft Wasser von Tankern für einen horrenden Preis: 18 Schekel, 9 Mark, für den Kubikmeter, für den Israelis genau ein Zehntel bezahlen. Wer arm ist, schickt Frauen und Kinder mit Eseln zur nächsten Quelle, jeden Tag und auch nachts, wenn die Warteschlangen nicht so lang sind.

Der Tankwagen, der eine private Zisterne im Städtchen Dahariya auffüllen soll, kann die steile Steigung zum Haus nicht nehmen. Ein langer Schlauch wird entrollt und in die Öffnung des unterirdischen, ansonsten durch eine Eisenklappe verriegelten Reservoirs gehängt. Zehn Kubikmeter laufen in die Zisterne und Familienvater Salim Abu-Rabia zahlt 230 Schekel in bar – 18 pro Kubikmeter, 50 für den Extraservice bei schwerer Zugänglichkeit.

Dreißig Mal musste der Tankwagen in diesem Sommer bestellt werden, denn die kommunale Wasserversorgung kann den Bedarf nicht stillen. 21 Menschen leben in dem Haus, die Eltern, 13 Kinder und 6 Enkel. Die antiquierte Waschmaschine ist fast ständig in Betrieb. Recycling ist angesagt und wird stolz demonstriert: Sauberes Wasser nur zum Trinken, Waschen, Abwaschen und Kochen. Seifiges Waschmaschinenspülwasser läuft in eine große Plastiktonne, von wo es zum Bodenwischen und zur Klosettreinigung in Eimer abgefüllt wird.

In Israel stehen die Leute zur selben Zeit genussvoll unter der Dusche, waschen Autos, bewässern ihre Gärten und verschwenden mit jeder Toilettenspülung rund 10 Liter. Wie frische, farbige Tupfen leuchten die jüdischen Siedlungen aus der verdörrten, karstigen Landschaft, insgesamt 144 im Westjordanland und im Gazastreifen, mit einer Bevölkerung von rund 200.000 Einwohnern. Sie beeindrucken ihre durstigen Nachbarn mit grünen Rasenflächen, bunten Blumenbeeten, Zierbäumen, türkisfarbenen Schwimmbecken, gigantischen Kuh- und Hühnerställen, machen sie neidisch und bitter.

„Hühner und Kühe sind den Juden wichtiger als palästinensische Menschen“, sagt die Dorffrau Mahmara Abu-Aram, während sie neben der Karmel-Quelle hockt und darauf wartet, ihren Eimer zu füllen. Ihr grimmiger Blick geht in Richtung Maon und Karmel, die beiden benachbarten Siedlungen, die rot bedacht auf zwei nahe gelegenen Hügeln stehen.

Die ungleiche Wasserverteilung in den besetzten Gebieten und der katastrophale Mangel im palästinensischen Sektor veranlasste die israelische Menschenrechtsorganisation BeZelem dieser Tage zur Veröffentlichung des 90 Seiten langen, detaillierten Reports „Durstig nach einer Lösung“. Daraus geht unmissverständlich hervor, dass Israel den Wassersektor in den palästinensischen Gebieten unter strikter Kontrolle hält und jede Erschließung neuer Wasserquellen behindert. Der Bericht soll als Grundlage für ein Abkommen über die künftige Wasserverteilung zwischen Israel und Palästina dienen, das Teil der stecken gebliebenen „Endstatusverhandlungen“ sein muss. „Israels Wasserpolitik basiert auf dem Wunsch, die Menge des israelischen Wasserverbrauchs zu erhalten“, sagt Najib Abu-Rokaya von BeZelem auf der Fahrt durch die Hebron-Hügel. „Zu diesem Zweck stiehlt es den Palästinensern nicht nur das Grundwasser aus der Zeit vor der Besatzung von 1967, es beutet auch alle neuen Wasserquellen aus, zu denen es zuvor keinen Zugang hatte. Das nützt vor allem den jüdischen Siedlungen.“ Gleichzeitig habe Israel, so Najib Abu-Rokaya, in den 33 Besatzungsjahren, in denen es für die palästinensischen Gebiete verantwortlich war, nicht nur versäumt, eine Infrastruktur zu schaffen, um die ländliche Bevölkerung an Wassernetze anzuschließen. Es hat auch die bestehenden Wassernetze nicht instand gehalten: „mit dem Resultat, dass Wasser in verrosteten, löcherigen Leitungen verloren geht“.

Das Wasser in den Eimern, mit denen die Böden im Hebroner Al-Ahali-Krankenhaus gewischt werden, ist schwarz. Das Putzpersonal ist angewiesen, Wasser zu sparen. Al-Ahali ist eines der modernsten, saubersten Hospitäler im Westjordanland – und doch gibt es nur einen Tag in der Woche fließendes Wasser. An den übrigen sechs Tagen kommen Tanker, vier pro Tag, um den täglichen Bedarf von 30 Kubikmetern zu decken. Das kostet Unsummen von Geld, das jetzt für die Ausstattung der Operationssäle fehlt. Im Al-Ichsun-Rehabilitätszentrum können die 110 hirngeschädigten Kinder und Greisinnen hingegen nur noch einmal am Tag gewaschen werden: Das Budget reicht nicht für mehr.

„Israels Wasserkontrolle in den besetzten Gebieten hat sowohl Menschenrechte als auch internationales Gesetz verletzt“, schreibt die Menschenrechtsorganisation BeZelem in ihrem Bericht. „Ein großer Teil des Grundwassers, das Israel verbraucht, gehört Israelis und Palästinensern gemeinsam, doch können die Palästinenser das Recht auf ihren Wasseranteil nicht geltend machen. Das diskriminiert sie gegenüber den Siedlern und beeinträchtigt ihr Menschenrecht auf Gesundheit.“

Man arrangiert sich

Der deutsche Geologe Clemens Messerschmid war vor fünf Jahren von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in die Stadt Ramallah im Westjordanland entsandt worden, um den Palästinensern bei der Bohrung neuer Quellen und dem Bau von Kläranlagen behilflich zu sein. „Wenn wir konkret bohren wollen, brauchen wir eine israelische Genehmigung“, sagt Clemens Messerschmid. „Die israelische Zivilverwaltung reagiert manchmal gar nicht auf unser Gesuch oder verzögert die Antwort ohne Angabe von Gründen. Oder sie erlaubt nicht, eine Leitung von der Quelle zu der Hauptpumpstation zu legen. Es hat schon mal zwei Jahre gedauert, bis wir eine Bohrgenehmigung bekommen haben, und dann haben wir nicht einmal Wasser gefunden.“

Verglichen mit der Region in und um Hebron ist die Wasserlage in Ramallah und Umgebung noch nicht hoffnungslos. 97 Prozent der Menschen im Einzugsgebiet des Wasserwerks von Ramallah sind an das Wassernetz angeschlossen; nur fünf Dörfer und drei Flüchtlingslager werden nicht versorgt. 67 Prozent des Wassers für Ramallah verkauft die israelische Wasserbehörde Mekoroth an die Palästinenser – aus Quellen, die teilweise im Gebiet des Westjordanlands entspringen.

Dennoch leidet auch Ramallah bereits unter Engpässen. Das Leitungswasser wird tageweise abgestellt, wenn auch nicht so häufig wie in Hebron, Bethlehem und Jenin. „Man erfährt meist rechtzeitig durch die Medien, wann und wo die Hähne trocken bleiben“, sagt Geologe Messerschmid. „Man füllt Wannen und Töpfe und geht notfalls zu Freunden duschen.“ Man arrangiert sich eben.