Frankreich ist „völlig normal“

Während französische Politiker in Sachen Parteienfinanzierung aufeinander einschlagen, suchen die Ermittler das Original der „Aufzeichnungen eines Toten“

PARIS taz ■ In Frankreich herrscht Krieg an der Staatsspitze. Der sozialistische Premierminister und der neogaullistische Staatspräsident, die seit drei Jahren und drei Monaten ungewöhnlich einvernehmlich zusammengearbeitet haben, werfen sich nun wechselseitig „illegale Machenschaften“ und „Manipulationen“ vor.

Ausgelöst hat das alles ein Video aus dem Jenseits mit Enthüllungen über die Schwarzkassen der Parteien, das in der vergangenen Woche von der Tageszeitung Le Monde veröffentlicht wurde. Die Sprengwirkungen der Video-Enthüllungen des im vergangenen Jahr an Krebs verstorbenen Jean-Claude Méry, Financier der gaullistischen RPR, erfasste zuerst Staatspräsident Jacques Chirac. Ihm will Méry im Oktober 1986 fünf Millionen Franc in bar für die Kassen der RPR überreicht haben. Damals war Chirac RPR-Chef, Bürgermeister von Paris und Premierminister auf einmal. Als Nächstes knallte es bei den Sozialisten. Denn Dominique Strauss-Kahn, Sozialist und Ex-Finanzminister der rot-rosa-grünen Regierung, besaß das Original der inkriminierenden Video-Kassette bereits Anfang 1999. Damals lebte Méry noch und hätte vor Gericht zitiert werden. Doch „DSK“ unternahm nichts.

Für ihr Metier nutzbringend setzen gegenwärtig lediglich die auf Parteienfinanzierung spezialisierten Pariser Untersuchungsrichter die Video-Affäre ein. Die Herren Riberolles, Brisset-Foucault und Halphen, die teilweise schon seit Jahren nach Beweisen für den allgegenwärtigen Verdacht von Schwarzkassen suchten und sich immer wieder mit anonymen Briefen und zurückgezogenen Geständnissen abfinden mussten, finden dieser Tage jede Menge neues Material.

Im Zuge der Video-Affäre verhörten sie den Dokumentarfilmer, der das Geständnis von Méry vor vier Jahren in seinem Studio aufzeichnete, die beiden Steueranwälte, die den Kontakt damals einfädelten und das Original des Videos später dem Exfinanzminister zuspielten, und Exminister DSK selber, der das Original nicht nur nicht angeschaut, sondern inzwischen auch verloren haben will. Bei all diesen Personen führten die Richter auch Haus- und Bürodurchsuchungen durch.

Das Original des Videos, von dem bislang zwei Kopien bekannt sind, haben die Richter (noch) nicht gefunden. Aber in dem Bankschließfach eines der beiden Steueranwälte sind sie auf zwei Briefe an „Monsieur le Président“ gestoßen, deren bislang geheim gehaltener Inhalt angeblich weitere Enthüllungen verspricht. Zwar hat in Frankreich jede Vereinigung einen „Monsieur le Président“, und dieser behält den Ehrentitel oft lebenslänglich bei. Doch drängt sich in der Video-Affäre der Verdacht auf, dass Jacques Chirac gemeint ist.

Trotz der seit Tagen steigenden Spannung in Paris soll der gestrige Ministerrat – die allwöchentliche Sitzung zwischen Regierung und Staatspräsident –„völlig normal“ verlaufen sein. So erklärten es unisono Sprecher von Jospin und Chirac. Eine waghalsige Erklärung von RPR-Sprecher Devedjian zeigt, welche Richtung das politische Paris möglicherweise einschlagen wird: unter den Teppich kehren. Während eine große Mehrheit der Franzosen die Aufklärung der Parteispendenskandale verlangt und sogar eine Aussage ihres Staatspräsidenten vor Gericht befürwortet, schlug Devedjian gestern Chirac vor, einen „Strich unter die Vergangenheit“ zu ziehen, indem er eingesteht, dass alle Parteien in der Vergangenheit von geheimer Parteienfinanzierung profitiert haben. Seit 1990 gibt es in Frankreich ein Gesetz, das die Parteienfinanzierung regelt. Damals wurde schon einmal eine Amnestie für vorherige Illegalitäten beschlossen. DOROTHEA HAHN