Rund um den Kollwitzplatz
: Der Techno-Club Casino, seine Besucher und neue Berliner Idyllen

Hier ist’s so schön

Wenn man Sonntagmorgens die Prenzlauer Allee Richtung Alexanderplatz herunterfährt, bietet sich einem immer wieder dasselbe Bild: Scharen von Kiddies, die die Nacht und den frühen Morgen in dem Techno-Etablissement Casino verbracht haben, bevölkern die Prenzlauer Allee. Sie chillen an Häuserwänden, im anliegenden Park und blinzeln mit kleinen Augen in die Sonne, stehen an den Bushaltestellen oder versorgen sich an der Tankstelle mit Keksen und Erfrischungsgetränken.

Tatsächlich bemerkt man diese Kids nur am Wochenende, wenn das Casino geöffnet hat – sei es, weil sie eigentlich aus den Vororten und Außenbezirken Berlins stammen, sei es, weil sie an den Casino-Tagen immer in größeren Gruppen auftreten.

Richtig passen ins neue Ambiente zwischen Mitte und Prenzlauer Berg wollen sie aber sowieso nicht mit ihren kurzen, nach hinten zurückgegelten Haaren, den Techno-Pullovern, Trainingshosen und Buffalo-Schuhen. Jugendkultur gibt es in dieser Gegend nicht wirklich. Am Kollwitzplatz drehen mittlerweile die Sightseeing-Busse ihre Runden, und was die Leute hier ausmachte, nämlich anders, Szenemenschen, reich, schön oder eben Touristen zu sein, kippt immer mehr ins Ballermannhafte. Und auch in den Seitenstraßen der Prenzlauer Allee in Richtung Greifswalder hat man sich auf Schöneberger und Kreuzberger Art eingerichtet – mit Bio- und Feinkostläden, Thai-Imbissen, indischen Restaurants, Mulitmediagenturen, Antiquariaten, Szenefriseursalons und all den anderen Dienstleistern, die hier den Leuten zwischen 30 und 50 mit oder ohne Geld das Leben lebenswert erscheinen lassen. Da hängen taz-Redakteure noch ihre Wohnungsgesuche auf taz-Briefpapier aus („Hier ist’s so schön!“), da fahren aber auch mehr und mehr Passat Combis mit Kindersitzen und BMWs der Siebenerreihe durch Marienburger- oder Winsstraße.

Manchmal allerdings werden die Idyllen im Hinterhof des Kollwitzplatz auch gestört. Wenn zum Beispiel der junge, hoch aufgeschossene Stammpenner der Immanuelkirchstraße seine fünf Minuten bekommt, ein paar Flaschen auf der Straße zerdeppert und jeden, der an seinem Lieblingsplatz vor dem japanischen Spätkauf vorbeikommt, lautstark anpöbelt.

Da gucken dann einige etwas indigniert weg und lassen ihn sich austoben, da gibt einer mit einem kleinen Hündchen so lange kontra, bis er merkt, wen er vor sich hat. Da gibt’s dann aber auch einen jungen Mann, der sich das nicht gefallen lassen will, seinerseits lauthals mit Schlägen droht und dann kurz davor ist zuzuschlagen – ohne zu merken, dass sein Gegenüber geistig verwirrt ist, vielleicht aber auch gerade weil er es merkt.

Wie der Penner mit dem Vollbart und seiner schmutzig-roten Skijacke passt auch der junge Mann nicht in diese für ihn wahrscheinlich angestammte, aber plötzlich völlig veränderte Umgebung. So wie er aussieht, würde man vermuten, dass auch er sein Wochenende im Casino verbringt. Man kann sich aber genauso vorstellen, dass er paar Straßen weiter nördlich, irgendwo zwischen Greifswalder- und Grellstraße, Ausländer jagt. Ein Arschloch unter vielen Techno-Kids, will man hoffen. Denn in Sachen Styles ist es in den letzten Jahren bekanntlich immer schwerer geworden, gut und böse, Techno oder Onkelz, Teenie oder Fascho auseinanderzuhalten.

Das neue Berlin aber hält sich mit solchen schwierigen Unterscheidungen gar nicht lange auf: Das Casino wird in ein paar Monaten geschlossen, und das gesamte Gelände bekommt unter dem Namen backfabrik.de neue Nutzer und Bewohner. Da laufen dann keine Techno-Kids mehr herum, sondern nur noch Internet-Unternehmer.

GERRIT BARTELS