Die ignorierte Fangemeinde

Bei Sydney 2000 tut man so, als gäbe es sie gar nicht. Doch die Olympia-Hools sind da

Die Kameras ignorieren sie. Sollte sich doch einmal ein Kameramann zu einem Schwenk auf sie verleiten lassen, dann sorgt die Bildregie dafür, dass keiner der Milliarden von Olympia-Zuschauern sie zu Gesicht bekommt – sie werden schlichtweg ausgeblendet. Denn die Olympia-Hools passen so gar nicht in das Bild der fröhlichen, unbeschwerten Spiele von Sydney. Dass dieses Problem der Gewalt auf der anderen Seite des Erdballs konsequent totgeschwiegen werden soll, passt dagegen sehr gut zur Informationspolitik des IOC: Was nicht sein darf, ist auch nicht.

Darüber kann Marc Fronten nur lachen. Wir treffen den Zweiunddreißigjährigen am Rande einer olympischen Schwimmveranstaltung, dem „Molchsprung“. Immer wieder wird das Gespräch mit dem Hobbyschläger durch sein klingelndes Mobiltelefon unterbrochen: Hooligans aus aller Welt wollen sich zur gepflegten Keilerei mit dem gefragten Knochenbrecher verabreden. „Man kann zwar so tun, als gäbe es uns nicht – aber wir sind hier sehr präsent.“

Mit fünf Freunden ist Fronten, ein gebürtiger Moerser, nach Australien angereist, um sich eine Medallie im Schlägern zu erwerben. Getarnt als ganz normale Zuschauer mischen sich die Olympia-Hools unter das Publikum und anschließend die Veranstaltung auf – während des Wettkamps, ohne Skrupel, ohne Mitleid und ohne Respekt vor den Athleten.

„Die wenigsten Leute wissen das“, sagt Fronten, „aber ‚Olympiade‘ bezeichnet nicht die Spiele, sondern den Zeitraum von vier Jahren dazwischen. Ich habe diese Zeit gut genutzt.“ In seiner Freizeit hat Fronten, eigentlich Feinblechner, Hunderte von Waffenläden durchsucht. „Bis ich meine fünf goldenen Schlagringe zusammen hatte, das war ein ganz schönes Stück Arbeit.“

Probleme bei der Einreise, beim Zoll? „Keine. Ich habe einfach gesagt, die Schlagringe seien ein Geschenk für meinen Neffen, der nach Australien ausgewandert ist.“

Ironie des Schicksals: Fronten hat überhaupt keinen Neffen. Niemand hat diese offenkundige Lüge überprüft. Dabei hatte sich die Gefahr lange abgezeichnet. Die Erfahrungen mit Ausschreitungen bei europäischen Fußballspielen schienen der Gastgebernation endlich eine Lehre zu sein. So hatte der australische Innenminister Burt McKirns die Regierungen in aller Welt wiederholt gebeten, ihre gewaltbereiten Fans an der Ausreise zu hindern. Aber Otto Schily (SPD) reagierte nicht. Ungehindert konnten sich die Brutalos auf ihre olympischen Schlägerferien vorbereiten.

„Uns zu schlagen, ist nicht unser einziges Ziel“, sagt Fronten. Er hat sich für seinen Aufenthalt auf dem fünften Kontinent ehrgeizige Ziele gesetzt: „Ich will einem Beuteltier den Beutel aufschlitzen. Und natürlich mindestens einen Koala essen.“ Er lacht frech über diese angekündigte eklatante Naturverletzung.

Plötzlich entsteht ein Handgemenge in dem kleinen Café „Tucatoo’s Place“ am Rande der olympischen Schwimmanlage. Von hinten hat sich ein entfernt an den australischen Filmhelden „Crocodile Dundee“ erinnernder Zeitgenosse auf Marc Fronten gestürzt. Bevor dieser seine Schlagringe auspacken kann, hat er bereits eine blutige Nase. Der Reporter versteckt sich hinter der Theke, draußen fliegen Stühle und Sonnenschirme. Ein babylonisches Sprachgewirr hebt an: Olympia-Hools aus unterschiedlichsten Nationen prügeln sich vor aller Augen, werfen mit Fosters-Büchsen und trampeln auf den Tulpen im Vorgarten herum. Die Polizei schreitet nicht ein, ja, sie ist nicht einmal in der Nähe.

Die Bilanz: drei gebrochene Nasen, schwere Prellungen, eine kritische Augenverletzung. Die Horde zieht ab, Fronten krabbelt auf dem Boden herum und sucht verzweifelt nach seinen geliebten Schlagringen. „Diese Schweine. Das war so nicht verabredet. Und überhaupt: Die waren doch alle gedopt.“

Ein von der australischen Regierung eingesetzter Streetworker taucht auf – viel zu spät. Der Mann verteilt Mullbinden und Pflaster. Fronten will keins: „Das würde mit nur mein martialisches Äußeres verderben. Und das ist doch die halbe Miete.“ Wieder klingelt sein Handy. Treffpunkt: Radrennen. „Verdammt. Das beginnt schon in einer Viertelstunde.“ Schnell verabschiedet sich Marc Fronten. Hinkend macht er sich auf den Weg – auf keinen Fall will der Olympia-Hool seine nächste Schlägerei verpassen.

STEFAN KUZMANY

Zitat:„Ich will einem Beuteltier den Beutel aufschlitzen. Und natürlich mindestens einen Koala essen.“