Weltbank: Aufruhr droht

James Wolfensohn, Präsident der Weltbank, hat die Industrieländer im Vorfeld der Jahrestagung in Prag schwer gerügt. Die Kürzungen der Entwicklungshilfe bezeichnete er als Verbrechen

PRAG taz ■ Der Präsident der Weltbank hat die Industrieländer aufgerufen, ihr Wirtschaftswachstum für verstärkte Entwicklungshilfe einzusetzen. „Die Kürzung der öffentlichen Entwicklungshilfe ist ein Verbrechen“, sagte Wolfensohn gestern in Prag im Vorfeld der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Derzeit wenden die Industrieländer nur noch 0,2 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auf. Auf internationalen Konferenzen waren 0,7 Prozent vereinbart worden. Die Regierungen der entwickelten Länder müssten sich darüber klar werden, dass die Armutsbekämpfung auch in ihrem Interesse ist, sagte Wolfensohn. Die ungleiche Verteilung des Wohlstandes fördere soziale Unruhen, die auch die Stabilität der reichen Welt gefährdeten. Ferner forderte Wolfensohn einen weitgehenden Schuldenerlass für die 20 ärmsten Länder der Welt.

Das weitere Anwachsen der Armut in Lateinamerika, wo mehrere Staaten zu den Schwellenländern gezählt werden, liegt laut Wolfensohn an der fehlenden Umverteilung. „Das Wachstum in Lateinamerika ist gut, aber es profitieren nicht alle davon“, meinte er.

Bezüglich der zu erwartenden Proteste von mehr als 20.000 Demonstranten in Prag sagte Wolfensohn, er stehe der Kritik der Demonstranten nicht negativ gegenüber. In vielen Punkten hätten sie Recht und mit ihrer Kritik Anstöße für neue Überlegungen gegeben.

Nicht überall in Prag trafen die Demonstranten auf so viel Verständnis. Das Amt für Veterinärmedizin warnte gestern vor Tollwutgefahr. Viele der Demonstranten würden ja ihre tierischen Freunde mit nach Prag bringen, hieß es in einer Presseerklärung des Amtes. Und die könnten ja auch mal zubeißen.

Sollten die IWF- und Weltbank-Delegierten Prag mit Schaum vorm Mund verlassen, könnte das Konsequenzen für die Wirtschaft der Tschechischen Republik haben. Das befürchtet Tschechiens Finanzminister Pavel Mertlík. Gebangt wird um das Ausbleiben ausländischer Investitionen. Bekräftigt wurden die Bedenken des Ministers vom Chefökonomen der deutschen Hypovereinsbank, Martin Hüfner. „Es geht vor allem um den psychologischen Eindruck, den die Delegierten aus Prag mitnehmen“, sagte er.

Die tschechische Grenzpolizei hat Anweisung, potenzielle Demonstranten erst gar nicht über die Grenze zu lassen. So ergeht es im Augenblick rund 60 radelnden Globalisierungsgegnern aus Hannover, die mitsamt ihren sechs Hunden an der böhmischen Grenze festsitzen. Für die Zeltstadt der Demonstranten im Stadion liegen bislang 6.000 Anmeldungen vor. MAIKE
RADEMAKER und ULRIKE BRAUN

brennpunkte SEITEN 3 und 4