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: Über Pizza-Bringdienste und andere Bierbüchsen

Light Sleeper

Über das gemütliche kleine Städtchen Hannover, das bald eines der teuersten Deutschlands sein wird, kursierte vor einiger Zeit ein sehr interessantes Gerücht. Angeblich gebe es dort einen Pizza-Dienst, so hieß es, den man nur anrufen und eine „Pizza Explosivo“ oder „Fantastico“ oder so ähnlich bestellen müsste, und dann bekäme man eine zünftige Portion Koks geliefert, plus eine armselige Pizza, für hundert Mark, vierter Stock, vielen Dank. Trinkgeld nicht inbegriffen.

Wirklichkeit oder ein modernes Märchen, den Werdegang eines solchen illegalen Lieferanten könnte man leichterhand wie folgt imaginieren: Der stadtbekannte Koks-Dealer Harry H. wird mit ein paar Kilo erwischt und muss in den Knast. Dort überlegt er sich, dass er keine Lust mehr auf Geschäfte mit illegalen Drogen hat, zu gefährlich, vielleicht hat er auch schon einen Schritt in Richtung Familie getan, sprich seine Freundin pinkelt allmorgendlich auf einen Fruchtbare-Tage-Ausrechner.

Wieder draußen, merkt er aber schnell, dass einen Vorbestraften niemand will. Keine Chance auf einen legalen Job. Nur der nette Pizza-Bringdienst aus Hannover-City nimmt ihn als Botenjungen, und fortan radelt Harry H. samt Knasttränen und tätowierten Handpunkten für 12 Mark die Stunde Pizzen hin und her. Irgendwann jedoch hängt er verstärkt am Bahnhofsviertel herum und rutscht unmerklich wieder auf die schiefe Bahn. Aber diesmal stimmt die Tarnung: allein er und sein ehemaliger Kundenkreis wissen von der Pizza, die nicht auf der Karte steht. Am Ende hat Harry H. sich eine neue Existenz zusammengedealt und muss noch nicht mal mehr selber liefern. Auch der kleine Harry profitiert davon. Im richtigen Leben sind öffentliche Drogenlieferungen, jedenfalls für legale Drogen, natürlich schon lange salonfähig. Ich selbst habe mir früher gerne mal einfach nur eine Flasche Weißwein bestellt, für 7,50 DM, bäh, den würde ich jetzt nicht mehr trinken. Außerdem ist der Mindestbestellwert gestiegen. Ein befreundeter ehemaliger Pizzalieferant musste früher angeblich öfter Bierkisten nach Neukölln liefern, Hinterhof vierter Stock. Als Trinkgeld gab es dann schon mal ein Fläschchen für den netten jungen Mann.

Wobei meines Erachtens jetzt die allerbeste Bierdosengeschichte von allen angebracht erscheint: Als ich eines Nachmittags vor Jahren meine Einkäufe bei Penny tätigte, sprach mich eine nette, kleine Oma an und bat mich, ihr doch bitte eines der für sie unerreichbar hoch auf dem Regal liegenden „Hausfreund“-Brotpakete (das mit der weichen Rinde, wegen der Dritten) runterzureichen. Ich tat wie mir geheißen. Die Oma sagte: „Vielen Dank, das ist sehr lieb von Ihnen“, und legte mir eine Bierdose aus ihrem Wagen in meinen Wagen. BEVOR wir durch die Kasse geschoben hatten, versteht sich. Als kleines Dankeschön.

Diese Geschichte hat sich wirklich zugetragen. Und manchmal, an traurigen Tagen, an denen die Menschen um mich herum über das Wetter motzen und ich mich frage, wo denn eigentlich meine unbeschwerte Jugend mit dem vielen Trinken, dem lustigen Durch-die-Betten-Turnen und dem in den Tag-hinein-Gammeln geblieben ist, kichere ich immer noch darüber.

JENNI ZYLKA