die stimme der kritik
: Betr.: Die Ölwut, die Wallerts und das neue Album von Pur

Der Angriff der Normalität auf die übrige Zeit

Die Opec und Hans Eichel machen es möglich: Die öde Wirklichkeit ist wieder da. Wo gestern noch ohne Ende von neuer Wirtschaft, Start-ups und den unbegrenzten Möglichkeiten im weltweiten Netz die Rede war, heißt es heute: Ölkrise, Ölschock, Ölwut. Die alte Wirtschaft und auch die Politik schlagen zurück, und plötzlich ist der Glamour weg. Da liegt ein Grauschleier über deutschen Städten, den unsere Mütter nicht richtig wegwaschen können, und vor allem wir Normalbürger sind wieder das, was wir schon immer waren: der große, sehr große Durchschnitt oder, viel schlimmer, arme Schweine.

Rentner X. beklagt sich, 1.000 Mark mehr an Heizkosten im Winter zahlen müssen („mit meiner schmalen Rente unmöglich“), der kleine Angestellte Y., vor seinem Vororthäuschen, fragt mal so rhetorisch: „Sollen wir etwa gar nicht heizen?“, und neben den Auto- (ja, genau, die mit den Kleinwagen) und den Brummifahrern trifft es auch die Tankwirte: „Wir werden betrogen, beschimpft und müssen dann auch noch die rot-grüne Ökosteuer eintreiben“ hat einer der Berliner BZ verraten.

(BZ)“, in dieser Woche tagelang unter großer öffentlicher Anteilnahme „zusammengeführt“ wurden. Wie Göttingens Oberbürgermeister sehnten schließlich auch wir Kleinwagenfahrer in den letzten Monaten „nichts sehnlicher“ herbei als die Rückkehr aller Wallerts. Und wie groß war dann die Freude, als Herr Wallert bei einem einstündigen Einkaufsbummel feststellte, dass dabei „endlich mal so etwas wie Normalität aufgekommen“ sei! Keine Chance haben dagegen momentan die neuen Bewohner des Big-Brother-Hauses in Köln: Stars werden die nicht, wir haben schließlich andere Sorgen (gewinnen werden übrigens Harry, der Automechaniker, und Daniela, die Versicherungskauffrau: aus Solidarität). Und auch die Popgruppe Pur wirkt angeschlagen, wenn trotz des erwarteten Erfolgs des neuen Albums „Mittendrin“, das geradezu unverschämt termingerecht unser aller geschundene Seelen tröstet, Sänger Hartmut Engler in Amica räsonniert: „Ich finde Normalität nicht schlimm, wenn man das Recht hätte, nicht normal zu sein, und aus bewusster Entscheidung normal ist. Wenn man normal ist, weil man nicht anders sein darf, dann ist Normalität schlimm.“ Gar nicht so einfach, in diesen Tagen ein Normalbürger zu sein. GERRIT BARTELS