Mehr als Laptops und Lederhosen

Bayern durchreisend, sehen sich norddeutsche Intellektuelle, insbesondere solche aus Berlin, gerne als Ethnologen. Sie suchen nach dem, was sie zu Hause verloren haben.

Für diese Suchaktion hat ihnen Herbert Achternbusch einerseits, die bayerische Staatsregierung andererseits einige zuverlässige Hypothesen auf den Weg gegeben. Achternbusch: Die Bayern sind ein Volk von CSU-wählenden Anarchisten. Edmund Stoiber: Bayern – das ist die geglückte Synthese von Laptop und Lederhosen.

Folgt man diesen beiden Leitsternen, kann ja nichts mehr schief gehen. Und das Ergebnis ist stets erfreulich. Ganz anders als der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss, der in seiner Untersuchung über die „Traurigen Tropen“ den Untergang eingeborener Kulturen beklagt, schöpft der Norddeutsche neuen Lebensmut angesichts der „bayerischen Identität“.

Dass diese „bayerische Identität“ (wie jede funktionierende Tradition) keineswegs organisch gewachsen, sondern ein Kunstprodukt ist, tut ihr keinen Abbruch.

Erfreulicherweise haben es Klischees an sich, eine gehörige Portion Wahrheit zu transportieren. Es stimmt, seit Franz Josef Strauß hat das ursprüngliche Agrarland Bayern mehrereIndustrialisierungswellen hintersich gebracht, noch dazu auf ökologisch halbwegs erträgliche Weise.

Biotech und IT konzentrieren sich heute im Umfeld Münchens. Sie nutzen die Vorteile des „sanften Standorts“ (Alpen und Seen) ebenso wie die Vorteile der bayerischen Industrieansiedlungspolitik, die alles Mögliche sein mag, aber sicher nicht neoliberal. Davon zeugt auch die Arbeitsmarktpolitik des Freistaats, von der sich mancher Sozialdemokrat ein Scheibchen abschneiden könnte.

Andererseits stimmt es auch, dass sich die bayerische „Identität“ nicht im Trachten- und Landlerschwachsinn erschöpft. Außerhalb Münchens ist der Dialekt intakt geblieben, Volkstheater und Bauerntheater (noch dazu kritisches) blühen, der Katholizismus hat den Vorzug der Volksreligion.

Dieser Katholizismus ist nicht allzu fordernd, verzeiht den Sündern bereitwillig und gibt dem Alltagsleben einen festen rituellen Anker. Die bayerische Kulturlandschaft blieb unzerstört, und an den barocken Zwiebeln auf den Dorfkirchen darf sich auch der Atheist erfreuen.

Entgegen einem gängigen Vorurteil verfügt Bayern über einen starken Staat, dessen Wurzeln bis in die napoleonische Zeit zurückreichen. Korruption und Unterschleif, keineswegs nur bayerische Phänomene, haben es nicht vermocht, den bayerischen Leviathan anzukratzen.

Auch nicht die stete unterminierende Kraft der Staatsfeindschaft, die in jedem echten Bayern wohnt und ihn dazu bringt, die Obrigkeit zu bescheißen, wo immer sich eine Gelegenheit bietet. Dieser praktische Antietatismus (und innerbayerische Antizentralismus) führt immer wieder dazu, dass politische Exzentriker und Nestbeschmutzer sogar bei Wahlen ihre Chance erhalten – trotz immer wieder erneuerter Hegemonie der CSU.

Vor mehr als zwei Jahrzehnten hat Alf Mintzel in einer glänzenden Untersuchung die Gründe für diese Hegemonie beschrieben. Sie liegen gar nicht so weit weg von Stoibers „Laptop und Lederhose“. Es geht um einen kulturell und sozial austarierten Modernisierungsprozess. CS