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: Sanfte Türpolitik in Berlin

Die große Desillusionierung

„Ich würde niemals einem Club angehören wollen, der Leute wie mich als Mitglieder akzeptiert“ – so weit Groucho Marx. Auch ich würde niemals in einen Club gehen, der Leute wie mich reinlässt. Denn, traurig, aber wahr: Ich bin eher unglamourös. Statt wie beispielsweise LTJ Bukem, Pierce Brosnan oder Joanna Kamm ein cooles Gestell von ic!-Berlin zu tragen, ziehe ich ein erst auf den dritten Blick modernes Modell von Brendel Fürth vor. Und der Kleiderschrank erst! Issey Miake, Helmut Lang, Prada oder zumindest Carhartt? Nie im Leben. Statt dessen Levi’s aus zweiter Wahl oder Cord und unterm soliden Sakko maximal einen Lambswool-Pulli mit V-Ausschnitt aus der Altkleidersammlung meines einstigen Kunstlehrers.

Dennoch interessieren mich Türhüter seit geraumer Zeit nur noch peripher. Das ist ein echtes Problem, denn was wäre für uns Provinzler aus Hamburg (Elbe), Bad Zwischenahn, Nordsee und Oberkochen/BaWü denn der Sinn einer Metropole, wenn nicht der Wettstreit um den Zugang zu den geheimnisvollen Orten, von deren Aura wir eine ganze Jugend lang geträumt haben?

Ein Dienstagabend von vielen bringt es an den Tag: Mit Juristenfreundin Superfritsche und meinem blonden Begleiter (und bedauerlicherweise ohne Das Wunder von Neukölln) am Start bei City-Back, wo die Start-up-Posse beim „First Tuesday“ repräsentiert. Vor der Tür jedoch keine Spur von Kafkas unerbittlichem Torwart: Mit freundlichem Kopfnicken verwandelt uns ein knallbreiter Jungmensch durch nette Namensschilder in Dr. Frank Albrecht, Geschäftsführer von Peppermint.Financial Partners, Dr. Jan Burdinski, Vorstand von Gecco Ventures AG und Sven Bartel, Investment Manager von bmp e Business AG.

Oben angekommen stellt sich schnell Ernüchterung ein. Zwei Stunden vor Mitternacht ist die Party bereits vorbei. Wer jetzt noch herumsteht, sieht mit dezentem Anzug und peinlichem „Backfabrik.de“-Halsband aus wie schlecht gecastet für billige Hauptstadtwerbung, Amüsement verspricht allein die Pinnwand, die neben einsamen Visitenkarten und Angeboten der Sorte „www.zuverkaufen.de zu verkaufen“ auch einsamen Herzen Zuflucht bietet: „Sabine K.! Ich [Herz] Dich.“ Dazu am Rande der unter Blaxploitation zu rubrizierende, wirklich kranke Scheiß von www.bronxpark.com: „Accessoires direct aus der Bronx, New York, sicher und schnell nach Germany geliefert.“

Auch der zweite Türsteher, der die VIPs und Blumenkohlreste im Hinterzimmer bewacht, ist keine wirkliche Herausforderung, und wenn die Leude, die man so kennt, auf einmal ziemlich zentral sitzen, hat das wohl seine Bedeutung. Im Gebäude gegenüber chez Flora & Fauna rult ebenfalls Tristesse totale: „Constanze da?“ – „Sind die beiden Ihre Gäste?“ Da bleibt einfach kein Raum mehr für Bangen, Hoffen, Ungeduld, Ärger, Verzweiflung und die Freude, es doch noch irgendwie zu schaffen. Da bleibt nur noch der ernüchternde Gang durch die Runde, ja, putziges Täschchen, tiptop Hiphop, cooles Shirt, feine Elektronik. Und? Landet hier vielleicht mal Puff Daddy mit dem Hubschrauber auf dem Dach, schreitet, begleitet von zwei Bodyguards, lässig die Treppe runter und verschwindet sofort im Spezialkabuff? Nee. Stattdessen lümmeln da unter Bildern von Bekannten Bekannte rum und rauchen.

Also, letzte Hoffnung Sesamstraße, Parole „Kekse!“, if you know what I mean. End- lich ein verschlossenes Stahltor, das mit großem Krachen zufällt, rrrumms! HIER NIX BACKFABRIK verkünden kapitale Lettern, das entzückt. Nur einmal harsch abgewiesen werden, das Leben hätte wieder ein Ziel. Indes: Durchwink! und drinnen die Desillusionierung des Jahres: Diese schrabbelige Bude ist also der Laden, von dem Flyer-Fotograf André C. Hercher mir die Ohren vollschwärmt? Nichts wie weg aus Berlin, Samstag geht der Flieger nach London. Was ich da will? Nicht in den Groucho Club kommen, natürlich. GUNNAR LÜTZOW