Die Welt als Miniatur in einer kleinen Box

Stauraum jenseits des konventionellen Eckenstehers namens Schrank:Von aufklappbaren Raumfaltern bis zu Schatztruhen aus Edelhölzern

Möbel sind die Hüllen des Menschen, ihre Wandlungs-möglichkeiten Spielräume zur persönlichen Entfaltung

von MICHAEL KASISKE

Nach jedem Umzug stellt sich die gleiche Frage: Wohin mit dem ganzen Kram? Mangels vorhandenen Raums und geeigneten Mobiliars sah ich mich bislang jedenfalls immer wieder vor die Aufgabe gestellt, wo und wie ich mein Hab und Gut übersichtlich und auffindbar unterbringe. Die Entwicklung individueller Ordnungssysteme und die Konsequenz, sie zu erfüllen, stellt wahrlich hohe Ansprüche an Mensch und Möbel.

Die konventionelle Lösung ist bekannt: Der Wand- oder Eckensteher namens Schrank. Dem setzt Andrea Kroth das Konzept „Raumfalter“ entgegen. Sie will mit diesem Typus über das bloße Verwahren hinaus räumliche Qualitäten gewinnen, denn als Innenarchitektin hat Kroth das weitere Wohnumfeld im Blick. „Kleidung und Möbel sind die unmittelbaren Hüllen des Menschen“, meint Kroth, „ihre Wandlungsmöglichkeiten sind Spielräume zur persönlichen Entfaltung.“

Der Titel ist programmatisch zu deuten: Modular aufgebaute, quaderförmige Elemente sind jeweils an einer Schmalseite mit Scharnieren verbunden, so dass sie auseinander geklappt offene Behältnisse bilden, die einen Raum in zwei Bereiche trennen, zusammengeklappt hingegen geschlossen und mysteriös wie die Kaaba wirken und unweigerlich zum Pol des Raumes werden. Der Unterschied im Erscheinungsbild wird an den Abmessungen des halbhohen Buch- und Aktenregals augenfällig: Ein geschlossener Kubus – mit der Kantenlänge von 95 Zentimetern – dehnt sich aufgeklappt bei gleicher Höhe auf einer Fläche von 285 mal 30 Zentimetern aus.

Diese „Janusköpfigkeit“ fasziniert, erfordert freilich auch einen großzügigen Raum, um dem Möbel ausreichend Platz zur Entfaltung zu bieten. Die Mobilität und eine leichte Handhabung bei Orts- und Formveränderung ermöglicht Kroth mittels stabilen Industrierollen. Ein Exemplar der Kollektion ist in der Galerie Jarmuschek und Partner in den Sophienhöfen zu sehen, das frei stehende Objekt eignet sich für Räume, deren Wände für andere Zwecke denn als „Lehne“ der Möbel genutzt werden. Und für häufige Wohnungswechsel ebenso, da „Raumfalter“ zum einen den Eigenarten verschiedener Räume entsprechen kann und gleichzeitig vertraut für den Bewohner ist.

Verzinkte und perforierte Winkelprofile, wie sie bei Kellerregalen geläufig sind, bilden die tragende Struktur; die Außen- und Deckenflächen sind aus weißen, transparenten Kunststoffplatten, die Einlegeböden aus beschichteten Birkensperrholz. Lieferbar sind drei verschiedene Höhen: in der niedrigen Ausführung als Couchtisch oder Sitzbank mit Filzauflagen, in der mittelhohen als Behältnis in Form eines Würfels oder Abgrenzung verschiedener Wohnbereiche, in der hohen als Schrank oder Raumteiler.

Ganz anders ist die schlicht „Systemcontainer“ genannte Kollektion, die zur Überraschung ihres Produzenten Paul Küper vor allem bei Jugendlichen beliebt ist. „Now in the little box, you have the whole world in miniature.“ Die Zeile aus einem Gedicht des Lyrikers Charles Simic erinnert an das Alter um 14 Jahre, als einige Dinge – wie das erste „Ich liebe dich“ oder Fotos von Stationen des Erwachsenwerdens – geradezu kultische Bedeutung bekamen und als identitätsstiftende Gegenstände sorgsam gehütet wurden.

Wie private „Schatztruhen“ erscheinen denn auch die Kisten, die Rolf Huber und Iris Braun gemeinsam mit Küper entworfen haben. Das Material – wahlweise Erlenholz, Ahorn-Multiplex oder eine Kombination aus Ahorn und Kirsche – wird massiv verarbeitet; die sorgfältige Verzinkung an den Ecken strahlt eine selten gewordene Handwerklichkeit aus, obwohl die Fertigung maschinell erfolgt.

Das Prinzip, seine Habe in Kisten zu lagern, geht ins Mittelalter zurück. Ähnlich wie der Stuhl ist die Truhe eine Urform, von der spätere Typen wie Schränke, Vitrinen und Kommoden abstammen. Die Truhe diente als Schutz, einerseits gegen Staub und Feuchtigkeit, andererseits konnte sie rasch in Sicherheit gebracht werden, etwa im Fall eines Feuers. Vor der unvermeidlichen Muffigkeit tiefer Kisten sind die Systemcontainer durch ihre kleine Größe bewahrt; ihre Abmessungen sind in der Fläche entweder 37 Zentimeter im Quadrat oder 43 mal 31 Zentimeter, die Höhe ist variabel.

In die Griffe investierte Küper einige Zeit, da sie innen und außen plan mit dem Holz sein sollten, um die Kisten lückenlos aneinander stellen und das Innere der Truhe nicht zu beeinträchtigen. Ein flacher Griff aus Edelstahl, der zum Heben ausgeklappt wird, ist eine dem seriellen Erscheinungsbild angemessene Lösung. Denn nicht Einzelstücke waren das Ziel, sondern eine Kombination unterschiedlicher Größen. Die Systemcontainer können auch auf Rollen geliefert werden oder – als Variation - mit separater, nur neun Zentimeter hoher und gummierter Rollpalette, auf der die Kisten und andere Gegenstände rutschfest an jeden Ort verschoben werden können.

Ein gleichwertiges Nebeneinander aller Einrichtungsgegenstände bestimmt den Entwurfsansatz der rollenden Objekte von Kroth und Küper. „Eingerichtetsein heißt hier“, schrieb der österreichische Architekt Laurids Ortner an anderer Stelle, „durch Mobilität den täglichen Anforderungen entsprechen zu können.“ Dass meint, die Wohnung bleibt provisorisch, unfertig und somit ein Kraftfeld, dass die Spannung von Veränderungen aufrechterhält.

„Raumfalter“: Kontakt über Andrea Kroth, Tel.: 28 38 76 28, www.raumfalter.de. Der „Systemcontainer“ ist erhältlich bei: dopo_domani, Kantstr. 148, 10623 Berlin, und Hausrat GmbH, Hadlichstr. 19, 13187 Berlin