Wachstum ist kein Naturgesetz

Verkehrexperten sehen Prognosen kritisch: Das Flugaufkommen ist eine Frage politischen Willens

BERLIN taz ■ Der Flugverkehr wird sich bis zum Jahr 2015 verdoppeln. Wie ein Naturgesetz steht diese Prognose im Flughafenkonzept der Bundesregierung, das Verkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) am Dienstag veröffentlichte. Da nicken die Flughafenbetreiber und die Fluggesellschaften und die Wirtschaftsförderer der Länder und Gemeinden. Wachstum sei gut, das bringt Arbeitsplätze. Mindestens 100.000 neue Jobs sollen es werden, und da will niemand den Zug respektive das Flugzeug verpassen.

Ist das Wachstum im Luftverkehr tatsächlich nicht aufzuhalten? Geht es nur noch darum, das Wachstum zu verwalten, wie Klimmt am Dienstag glauben machen wollte? Verkehrsexperten verneinen das. Für sie stellt sich die Frage, was politisch gewollt ist. Wenn Wachstum in der Luftfahrt als gut und richtig empfunden wird, dann braucht „Klimmt nur sein Flughafenkonzept umzusetzen und ein wenig Geld“, sagt Udo Becker, Verkehrsökologe an der Technischen Universität Dresden.

Die Flugpreise sagen schon lange nicht mehr die ökologische Wahrheit. Das ist im gesamten Verkehrssektor so. Schätzungen gehen davon aus, das allein der deutsche Verkehr jährlich indirekt mit über 1.000 Milliarden Mark subventioniert wird.

Aber im Gegensatz zum Auto kann sich nicht jeder einfach ein Flugzeug kaufen und losjetten. Flughäfen müssen Genehmigungen erteilen, so genannte Slots. Die Anzahl der Slots sind in der Regel begrenzt. Sind alle vergeben, ist die Kapazitätsgrenze an einem Flughafen erreicht.

Becker sieht hier einen Ansatzpunkt, um weiteres, aus seiner Sicht ökologisch unsinniges Wachstum zu vermeiden: Flughäfen dürfen nicht weiter ausgebaut werden. „Jede Warteschleife, die ein Flugzeug fliegt, ist der Beweis, dass es vor allem in der Urlaubsfliegerei eine Übernachfrage gibt.“ Das liege an den zu niedrigen Preisen, an den immer besseren Verkehrsanbindungen der Flughäfen und der immer besseren Erreichbarkeit von klassischen Urlaubszielen wie Mallorca oder den Kanaren. Wie Engpässe und Überlastungen der Flughäfen verhindert werden können, sei eine Frage der Philosophie, sagt Becker. „Entweder Klimmt will ein nachhaltiges Deutschland, oder er will Wachstum.“

Rund 40 Prozent aller Flüge könnten eingespart werden, wenn im innerdeutschen Luftverkehr Strecken bis 800 Kilometer konsequent auf die Schiene verlagert würden, hat das Wuppertal Institut errechnet. Karl-Otto Schallaböck, Luftverkehrsexperte im Wuppertal Institut, sieht weitere Potentiale bei der Geschäftsfliegerei.

Zehn Prozent aller Maschinen bräuchten nicht abheben, wenn die Bahn ihre Fahrzeiten auf maximal drei bis vier Stunden verkürzte und die Preise für Flüge stark anzögen. Wer dann noch die neuen technischen Kommunikationsmittel wie E-Mail und Videokonferenzschaltung per Internet nutzt, braucht sich theoretisch gar nicht mehr vom Fleck zu bewegen.

Dennoch sei ein Ende des Wachstums unter den derzeitigen Bedingungen nicht abzusehen, vermutet Schallaböck. „Ich hoffe, es wird bald eine gesellschaftliche Debatte über die ökologischen Folgen des Fliegens geben“, sagt er und rechnet vor: Wenn ein Ehepaar einmal nach Santo Domingo fliege, könne es genauso gut zehn Jahre mit dem Auto durch die Weltgeschichte fahren. Der ökologische Effekt sei der gleiche. „Wenn sich dieses Bewusstsein durchsetzt, sinkt möglicherweise auch die Nachfrage.“

Verkehrsökologe Udo Becker ist optimistisch, dass irgendwann Schluss mit dem Wachtum ist: „In einer endlichen Welt ist nichts unendlich.“

THORSTEN DENKLER