Solare Stürme

Wenn’s auf der Sonne stürmisch zu geht, kann es auf der Erde ungemütlich werden. Im Herbst steht ein neuer Höhepunkt der Sonnenflecken-Aktivität mit heftigen Teilchenstürmen bevor

von URS FITZE

Auch wenn die Wissenschaftler inzwischen sehr viel über die Sonne wissen: „Die solare Wetterprognose ist heute auf einem Stand, den die terrestrische Meteorologie schon vor siebzig Jahren erreicht hat“, sagt der Astronom Arnold Hanslmeier vom astronomischen Institut der Universität Graz. Dem Problem möchten er und eine ganze Reihe von Kollegen auf der ganzen Welt im Rahmen des Projektes „Space Weather Prediction“ abhelfen. „Wir hoffen, bis in fünf Jahren, das Sonnenwetter bis auf einige Stunden vorhersagen zu können“, umschreibt Hanslmeier das Ziel des Projekts, das von der US-amerikanischen National Science Foundation und dem österreichischen Forschungsministerium finanziert werden. Es geht dabei vor allem um die „Solar Flares“, Strahlungsausbrüche auf der Sonnenoberfläche, die ungeheure Energiemengen ins Weltall schleudern, mit Auswirkungen, die die Erde empfindlich treffen können.

Ausfall des Stromnetzes

Diese Teilchenwolken erreichen binnen weniger Stunden nach dem Ausbruch die Erdoberfläche und können das Magnetfeld der Erde so verändern, dass elektrische Ströme gigantischen Ausmaßes fließen. So legte 1989 ein Solar Flare das Stromnetz der kanadischen Provinz Quebec lahm. „Die Spitzenwerte an diesem Tag erreichten die Leistung eines Generators mit zehn Millionen Megawatt“, schrieb das kanadische Institut Metatech. Der Schaden: eine Milliarde Dollar. Gestört werden können aber auch die Funk- und GPS-Navigationssysteme. Selbst Satelliten könnten abstürzen: Wenn die Erdatmosphäre, beeinflusst durch die Strahlung, sich ausdehnt, werden Satelliten auf äußeren Umlaufbahnen abgebremst und geraten aus der Bahn.

„Die Sonne ist heute sehr gut erforscht“, sagt Hanslmeier. „Doch je mehr wir über sie wissen, desto klarer wird auch, dass es sich um einen unberechenbaren Stern handelt. Die Sonne ist bei weitem nicht so harmlos, wie sie aus Sicht der Erde erscheinen mag.“ Rein mathematisch betrachtet, bewegt sich der „Sonnendynamo“ am Rande eines chaotischen Verhaltens. Schon kleinste Veränderungen können dramatische Auswirkungen haben. Und wenn man weiß, dass schon ein einziges Promille mehr oder weniger Energieabstrahlung auf der Erde eine Temperaturänderung um fünf Grad bewirken kann, dann lohnt es sich durchaus, die Sonne genauer zu untersuchen.

Die Entstehung der Solar Flares ist heute weitgehend geklärt. Sie steht in engem Zusammenhang mit den „Sonnenflecken“. Das sind Zonen geringerer Temperatur an der Sonnenoberfläche, die in einem Zyklus von ungefähr elf Jahren auf der Sonne gehäuft auftreten.

Gigantische Ausmaße

„Wir können mit den besten Teleskopen die Sonnenoberfläche bis auf 300 Kilometer auflösen“, erklärt Hanslmeier. Sonnenflecken haben einen Durchmesser von bis zu 40.000 Kilometer – so viel wie der Erdumfang. Ihre Temperatur beträgt rund 4.000 Grad, während die Normaltemperatur rund 2.000 Grad höher liegt. Die Abkühlung bewirken extrem starke Magnetfelder, die verhindern, dass heiße Materie aus dem Innern der Sonne an die Oberfläche strömt.

Der Grund liegt im dynamischen Magnetfeld der Sonne, die sich wie die Planeten um die eigene Achse dreht – am Äquator allerdings schneller als an den Polen. Die Sonne ist keine feste Masse, sondern ein gigantischer Plasmaball, der magnetische in mechanische Energie umwandelt. Die Rotationsgeschwindigkeit beträgt am Äquator 27 Tage für eine Umdrehung, an den Polen aber 31 Tage. Die Folge ist, dass sich das von Pol zu Pol laufende Magnetfeld buchstäblich aufwickelt und sich damit ständig verändert. Sonnenflecken sind die Wegmarken dieses Prozesses, der dazu führt, dass das solare Magnetfeld seine Polarität in einem Rhythmus von rund 22 Jahren umkehrt.

Doch selbst diese Konstante der Sonne muss relativiert werden. So gab es im 17. Jahrhundert eine fünfzigjährige Periode, während der die Sonnenfleckenaktivität praktisch zum Stillstand kam. Das führte zu einer kleinen Eiszeit, die sich heute noch an Baumringen oder den Ablagerungen in Korallenriffen nachweisen lässt. Auch bei der derzeitigen Klimaerwärmung spricht die Sonne ein Wort mit. Beobachtungen zeigen nämlich, dass die Energieabstrahlung der Sonne in diesem Jahrhundert tendenziell zunimmt – und damit zumindest mit verantwortlich sein könnte für die Erwärmung des Erdklimas.

Daten seit 350 Jahren

Die Beobachtung der Sonne erfolgt heute sowohl von der Erde aus als auch aus dem Weltraum. Weltweit stehen über dreißig Observatorien zur Verfügung. Sie sind trotz immer ausgefeilterer Satelliten unentbehrlich. Die Teleskope sind weit größer und ermöglichen eine Sonnenbeobachtung rund um die Uhr. Das liefert oft entscheidende Hinweise, wohin die Satelliten ihr Augenmerk richten sollen. Zudem stehen für die Sonnenflecken die wohl längsten Datenreihen überhaupt zur Verfügung. Sie werden seit 350 Jahren systematisch beobachtet. Die Fortführung dieses unschätzbaren Datenschatzes könnte es auch erlauben, einen weiteren Sonnenzyklus genauer zu erforschen, der im Rhythmus von achtzig Jahren die Stärke der Sonnenfleckenaktivität zu beeinflussen scheint.

„Hessi“, ein neuer, mit Unterstützung des Paul-Scherrer-Instituts entwickelter Sonnenforschungssatellit, soll jetzt vor allem im Spektralbereich des Lichts weitere Erkenntnisse liefern. Denn so relativ klar die Erklärung von der Entstehung der Solar Flares erscheint, so sehr steckt der Teufel im Detail. „Wir wissen zu wenig über die Veränderbarkeit und Stärke der Magnetfelder auf der Sonne, die letztlich verantwortlich sind für die Solar Flares. Erst wenn wir diese Mechanismen besser verstehen, können wir auch genauere Aussagen über das solare Wetter machen“, sagt Hanslmeier.