Einmarsch in den Jugendclub

von HEIKE KLEFFNER

Es klingt fast wie ein Geständnis, wenn Delitzschs CDU-Bürgermeister Gerhard Denef langsam sagt: „Ja, wir haben ein Problem mit rechts orientierten Jugendlichen.“ Um dann schnell hinzuzufügen, dass die Stadtverwaltung alles daransetze, diese „imageschädigende Problematik“ schnellstmöglich zu lösen und „das Sicherheitsgefühl der Bürger wiederherzustellen“.

Bei vielen Menschen in der 27.000-Einwohner-Stadt bei Leipzig existiert dieses Sicherheitsgefühl schon seit Jahren nicht mehr. Beispielsweise bei den Besitzern von zwei kurdischen Imbissen, deren Stammgäste von tätlichen Angriffen stadtbekannter Rechtsextremisten schon Ende der 90er-Jahre berichten. Oder beim linken Jugendclub „Die Villa“, der in den letzten zwei Jahren jeweils am Vatertag von einer größeren Gruppe Rechtsextremer angegriffen wurde. Seit Anfang dieses Jahres verzeichnet die polizeiliche Statistik allerdings auch eine Zunahme der Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Jugendlichen. Es gab Übergriffe auf russlanddeutsche Aussiedler, ein kurdischer Imbiss wurde gestürmt, der körperbehinderte 13-jährige Sohn eines deutsch-vietnamesischen Ehepaares wurde zusammengeschlagen.

Der Hintergrund: Die Gaststätte, in der sich die ungefähr 40 rechtsextremen Jugendlichen von Delitzsch und deren rund 30 Personen großes Umfeld traf, musste im Mai schließen. Seitdem fordern die Rechten einen eigenen „autonomen“ Jugendclub. Die Antwort der Stadt: Man habe doch ein offenes Jugendhaus – das YOZ. Das hatte die Stadt erst im vergangenen Jahr für 1,4 Millionen neu gebaut, und dorthin sollten nun auch die Rechten kommen. Der zweite Bürgermeister von Delitzsch, ein SPD-Mann, begleitete sie persönlich zur Tür des YOZ. Bisher hatten sich dort Jugendliche getroffen, die sich als „nicht rechts“ bezeichnen und von den YOZ-Betreuern als „stinknormal“ eingeschätzt werden. Früher veranstaltete der Verein „Die Anderen“, der auch den linken Treffpunkt „Die Villa“ betreibt, hier regelmäßig Ska-Konzerte.

Doch das ist vorbei. Seitdem die Rechten hier Wochenende für Wochenende einmarschieren, kommt das Stammpublikum – darunter auch die Kinder der russischen Aussiedlerfamilien und afrodeutsche Jugendliche – immer seltener. Die Betreuer im YOZ, eine ausgebildete Sozialarbeiterin und vier ABM-Kräfte, fühlen sich von der Stadt und dem Trägerverein des YOZ im Stich gelassen. „Wir wurden nicht gefragt und haben auch keinerlei Druckmittel, um Rechte, die hier mit verfassungsfeindlichen Symbolen hereinkommen, wieder rauszuschmeißen“, sagt Andrea K.

So wie am Todestag von Rudolf Heß am Donnerstag vergangener Woche, als bei Einbruch der Dunkelheit zwanzig ganz in Schwarz gekleidete Naziskins mit stilisierten Hakenkreuzen als Gürtelschnallen und Blood-&-Honour-T-Shirts zur „Feier des Tages“ mal wieder im YOZ vorbeischauen. Mike Scheffler, mit 26 Jahren selbst ernannter „Führer“ der Delitzscher Neonaziszene und bis zum vergangenen Jahr NPD-Mitglied, hat Verstärkung aus den Parteihochburgen Wurzen und Bitterfeld mitgebracht.

Die tätowierten Muskelpakete erzielen den gewünschten Effekt: Schlagartig verlassen 15 Jugendliche mit bunten Haaren und Piercings, die bis dahin HipHop-Musik gehört und Billard gespielt haben, die Räume. Drinnen sagt Mike Scheffler stolz: „Wir kriegen unseren eigenen Club bis zum Ende des Jahres, und bis dahin kommen wir hierher.“ Auf dem Parkplatz fährt langsam ein Polizeiauto vorbei. Die zwei Beamten steigen nicht aus, sondern schreiben nur die Kennzeichen der parkenden Autos auf: Die Rechten haben ihre Autos allerdings in den Seitenstraßen des Neubauviertels geparkt.

„In den vergangenen Monaten wurde ein Kollege vor den Augen von Polizeibeamten von Rechten bedroht“, berichtet Angela K.: „Eingeschritten sind sie nicht.“ Genauso wenig wie vor zwei Wochen, als ein Fernsehteam von Focus TV den Auftritt von Mike Scheffler und Kumpanen im YOZ filmen wollte und massiv bedroht wurde.

Im Juni hatte der Delitzscher Stadtrat mit 13 zu 14 Stimmen beschlossen, für die Rechten einen eigenen Container als Treffpunkt am Stadtrand aufzustellen. 75.000 Mark wollte die Stadt dafür ausgeben, Mike Scheffler sollte als ABM-Kraft die Aufsicht führen. Berater vom sächsischen Innenministerium, vom Landratsamt und die Polizei hätten das befürwortet, sagt Bürgermeister Denef, der von Mike Schefflers rechtsextremen Aktivitäten und Einstellungen erst aus Zeitungsberichten erfahren haben will. Inzwischen sei die Zusage für den Container aber „auf Eis gelegt“.

Der Grund: In der Nacht vom 8. zum 9. Juli drang eine Gruppe von acht Rechten, darunter auch Mike Scheffler, über die Balkontür in die Wohnung der Familie Kardass ein. Deren Tochter, die 18-jährige Jana, soll die Adresse einer Freundin aus dem Umfeld der „Villa“ verraten. „Mike Scheffler hat meine Hand genommen und mich die Pistole unter seiner Jacke fühlen lassen“, sagt das junge Mädchen. Die Angreifer nehmen ihr Handy mit und verlassen mit der Drohung, die „Zeckenschlampe“ Jana umzubringen, falls sie zur Polizei gehen sollte, die Wohnung. Beim Abmarsch reißen sie noch die Eingangstür der Wohnung aus den Angeln.

Tage später erhalten diejenigen, deren Telefonnummern in Janas Handy gespeichert waren, Drohanrufe. Jana und ihre Familie haben Delitzsch inzwischen verlassen und werden therapeutisch betreut. Auch der Sohn einer russischen Aussiedlerfamilie, der eine Woche später von Rechten zusammengeschlagen wurde, hält sich nicht mehr in Delitzsch auf. In beiden Fällen hat die Polizei die Täter ermittelt. Sie laufen, wie Mike Scheffler, Abend für Abend durch Delitzsch. Es gebe keine Anzeichen einer Wiederholungsgefahr, sagt Norbert Röger von der Staatsanwaltschaft Leipzig, die wegen „Landfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung“ ermittelt. Ob die Angreifer rechts orientiert seien, sei schwer zu sagen. „Die Beleidigung ,Zeckenschlampe‘ allein reicht für eine Bewertung nicht aus“, so Staatsanwalt Röger.

Jan Müller, Pressesprecher der zuständigen Polizeidirektion Torgau, spricht von rivalisierenden Jugendgruppen. Keineswegs handele es sich um Rechtsextreme, allenfalls um rechts orientierte Jugendliche. Das sieht man beim Landesamt für Verfassungsschutz etwas anders: Zwar sei der NPD-Kreisverband eher unbedeutend; dafür seien aber die rund 40 militanten jugendlichen Rechtsextremisten um so aktiver, sagt der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Reinhard Boos. Er sagt auch, dass er es „nicht richtig“ findet, „wenn es Jugendclubs gibt, in denen organisierte Rechtsextreme Einfluss auf die Besucher nehmen können“.

Die Polizei versucht derweil, mit Erfolgsmeldungen zu glänzen: Durch „massive Polizeipräsenz“ habe man am vergangenen Wochenende erneute Zusammenstöße zwischen Rechten und Aussiedlerjugendlichen verhindern können – auch wenn es zwei Verletzte gegeben habe, aber das seien in diesem Fall Rechte gewesen.

Auch Bürgermeister Denef sieht die Lösung in „der Härte des Gesetzes“ und in kürzeren Öffnungszeiten für das YOZ, „bis sich die Lage wieder beruhigt hat“. Von Zivilcourage gegen rechts spricht er nicht. Der Verein „Die Anderen“ wollte im YOZ ein Konzert „gegen Faschismus“ machen. Die Stadt und der Trägerverein des YOZ haben es verboten. „Das wäre eine Provokation und eine politische Veranstaltung“, sagt Denef.

Jetzt klagen „Die Anderen“ vor Gericht, „schon um zu zeigen, dass sich in Delitzsch nicht alle dem rechten Terror beugen“. Gleichzeitig wollen „Die Anderen“ gemeinsam mit russischen Aussiedlern und den kurdischen Familien der Stadt eine „Opferinitiative“ ins Leben rufen. „Damit wir endlich bei der Stadtverwaltung gehört werden.“ Doch Sozialarbeiterin Andrea K. hat wenig Hoffnung: „Die Stadt hat die Rechten monatelang ermutigt, vor allem mit der Zusage für einen eigenen Treffpunkt. Ich muss sie nicht akzeptieren, wenn sie ins YOZ kommen, aber wenn ich sie rausschmeißen will, dann drohen sie damit, am nächsten Wochenende mit 150 Leuten wiederzukommen.“ Und dann steht Angela K. wieder allein im YOZ.